Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Korb.
»Hast du nicht heute die Sache in Papenburg?«
»Ja«, sagte er, »wäre sowieso nicht gegangen.«
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dpa – Basisdienst, Hamburg
Geiselgangster fordern 300
000 Mark –
Kein Kontakt zur Polizei
Gladbeck (dpa) – Bis zum Nachmittag hatte die Polizei nach eigenen Angaben noch keinen direkten Kontakt zu den beiden vermummten Männern, die 300
000 Mark sowie ein schnelles Fluchtauto forderten. Sie drohten damit, eine ihrer beiden Geiseln anzuschießen.
Am Morgen telefonierten verschiedene Journalisten mit den Geiselnehmern in der Bank. In einem Interview in den Mittagsnachrichten eines Berliner Privatsenders bekräftigte einer der Gangster, der mit einem stark rheinischen Akzent sprach, seine Forderung nach Geld und Fluchtauto. Als Motiv gab er an, dringend Geld zu benötigen.
Seit er mit seinem Bruder Karoly in Berlin telefoniert hatte, hatte Adam das Gefühl, langsam wieder klarer denken zu können. Stundenlang hatte er sich wie betäubt gefühlt. Karoly war seit dem Tod des Vaters, der sich ein halbes Jahr vor ihrem gemeinsamen Weggang aus Sosnowitz vor einen aus Kattowitz kommenden Nahverkehrszug geworfen hatte, seine Familie. Karoly war zweieinhalb Jahre älter als Adam, hatte als Automechaniker in einer Garage in Zagorze gearbeitet und ihm alles, was man über Motoren wissen musste, beigebracht.
Die polnische Eisenbahn Polskie Koleje Pa ń stwowe S. A., die ihm sein halbes Leben lang Brot und Arbeit gegeben hatte, brachte ihren Vater am Ende um. Weshalb er sich vor den Zug geworfen hatte, wurde nie geklärt. Gründe dafür, dachte Adam später, gab es viele.
In einer Winternacht des Jahres 1985 hatten Karoly und er mit dem alten dunkelgrünen Polski Fiat 125p ihres Vaters das tiefverschneite Sosnowitz Richtung Berlin verlassen. Als sie aus Srodula, dem Ortsteil, in dem sie groß geworden waren, hinausfuhren und die Scheinwerfer ihr gelbes Licht über die weiß verhüllten Straßen sprühten, wusste Adam, dass etwas in seinem Leben für immer zu Ende ging.
In der ersten Zeit im kalten, vom eisigen Ostwind durchfegten Berlin waren sie bei Jurka, Karolys ehemaligem Klassenkameraden, untergekommen, und für Adam waren die Tage in Spandau, die ersten auf deutschem Boden, aufregend. Die Zukunft hatte ihnen damals, anders als zu Hause (wo seit dem Krebstod der Mutter alles wie unter einer täglich dickeren Staubschicht liegen geblieben war), plötzlich wieder offengestanden. Und dann hatteer bei Wackernagel Martha kennengelernt, eine kleine brünette Schönheit aus dem Wedding, die sich beim Reden häufig das dichte, schulterlange und stets in der Mitte gescheitelte Haar mit den Ringfingern hinter die wunderschönen Ohren strich – kleine, wie aus Nudelteig geformte Muscheln.
Aus ihrer Affäre, die auf einer Geburtstagsfeier begann, wurde auf Marthas Betreiben schnell mehr, und Adam brachte die wenigen Sachen, die er aus Polen mitgenommen hatte, in ihre Wohnung.
An einem Montag fand er sich mit Karoly und 40 Männern aus der Slowakei, der Ukraine und Lettland im Morgengrauen in einer zugigen Lagerhalle in Neukölln ein, dem sogenannten »Polenstrich«, um Arbeit für den Tag zu bekommen. Als Anstreicher, Dachdecker, Tischler, Automechaniker oder Möbelpacker, ganz egal. Hauptsache: Arbeit. Für sieben Mark die Stunde. Als Adam hörte, dass Ukrainer nur vier bekamen, war er sekundenlang froh, Pole zu sein.
Irgendwann wurde er von einem Mann angesprochen, der einen S-Klasse-Mercedes draußen vor der Halle parkte. »Mit dem stimmt was nicht, kannst du ihn reparieren?« Adam sah kurz Karoly an und nickte.
»Wenn du den wieder hinkriegst, besorg ich dir was Richtiges, okay?«, sagte der Mann und öffnete den Kofferraum, in dem ein blauer Werkzeugkasten und eine Taschenlampe lagen. Dann stieg er in einen zweiten Wagen, an dessen Steuer ein Unbekannter saß, und verschwand in der Dunkelheit.
Als es hell wurde, lief der Mercedes einwandfrei. Der Mann drückte Adam eine Visitenkarte in die Hand, sagte: »Ruf mich heute Abend an«, stieg in seinen Wagen und fuhr, gefolgt von dem Unbekannten, davon.
Adam blickte ihm nach, wischte sich die ölverschmierten Hände an der Hose ab und besah sich das bräunliche Stück Karton, auf dem gedruckt stand: Wackernagel, Transporte In- und Ausland.Darunter eine Adresse in Zehlendorf mit Telefonnummer. Als Jurka am Abend für ihn anrief, bekam er zur Antwort, Adam solle am nächsten Morgen zu der auf der Karte stehenden Zehlendorfer Adresse kommen.
Wackernagel
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