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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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gemeinsame siebenjährige Tochter Jasmin mit dem Fahrrad zur Schule brachte, musste jeden Moment wiedernach Hause kommen. Ahrens zog seinen Bademantel über, ging hinunter in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an. Anschließend drehte er das Radio an, Radio Bremen Eins.
    Am Vorabend hatte er, nachdem er sich übers Fernsehen einen Überblick über die Ereignisse in Gladbeck verschafft hatte, Robert Franzke, einen befreundeten Dortmunder Kollegen, angerufen, der für die Ruhr Nachrichten arbeitete und in Gladbeck vor Ort gewesen war.
    »Das war absolut irre, Peter«, hatte Franzke hörbar erregt gesagt, »du glaubst es nicht! Wir hatten völlig freien Zugang bis zur Bank. Von Behinderung durch die Polizei keine Spur. Wir machten unsere Bilder, und die Grünen guckten zu.«
    Ahrens, der als Fotograf für AP arbeitete, aber im Begriff war, gemeinsam mit einem Freund eine eigene kleine Bildagentur aufzubauen, war Franzkes Schilderungen am Ende nur noch halbherzig gefolgt, abgelenkt von der Vorstellung, seine Ausrüstung zusammenzupacken, sich ins Auto zu setzen und sich an die Geschichte dranzuhängen. Wäre da nicht diese Auftragsarbeit für die Meyer-Werft in Papenburg gewesen, deren Termin schon seit Monaten feststand und die sich unmöglich verschieben ließ. Für deren PR-Abteilung sollte er die »Horizon« fotografieren, ein Hochseeschiff, das von einer griechischen Reederei in Auftrag gegeben worden war und kurz vor der Fertigstellung stand.
    Ahrens trat ans offene Fenster und blickte nachdenklich hinaus auf die im Morgenlicht bereits unwirklich unter einem stahlblauen Himmel leuchtenden Wümmewiesen. Anette und er hatten zuletzt zaghaft überlegt, aus Borgfeld weg- und näher an die Innenstadt zu ziehen. Sie arbeitete in einer Apotheke in der Bremer Altstadt und beklagte sich neuerdings öfter über die neun Kilometer, die sie zweimal täglich mit ihrem Polo zurücklegen musste. Doch wenn er wie in diesem Moment seinen Blick über die ihr Grundstück streifenden Ausläufer des riesigen Naturschutzgebiets schweifen ließ, kam ihm dieser Gedanke geradezuabsurd vor. Was waren schon 18 Kilometer Bundesstraße gegen eine solche Aussicht?
    Wenn er mit Jasmin durch die von breiten Wasseradern durchzogenen und von Sumpfdotterblumen oder Polstern der karminrot leuchtenden Kuckuckslichtnelke gesäumten Wiesen Richtung Timmersloh oder Lilienthal lief, war es keine Seltenheit, dass plötzlich Reiher aus dem Röhricht vor ihnen aufstiegen, ein blau schillernder Eisvogel pfeilschnell durchs Bild flog oder ein Fischotter kurz aus dem dichten Ufergras hervortauchte und wieder darin verschwand. Gerade an heißen Tagen wie diesen war es eine wahre Freude, sich dort mit einer Decke unter einen der zahlreichen schattenspendenden Bäume zu legen und ein in der Kühltasche mitgebrachtes eiskaltes Beck’s zu trinken, während sich in der Innenstadt der Teer unter den lautlosen Schlägen der Hitze in eine formlose Masse verwandelte und es grässlich nach Benzin und Urin stank.
    Das Geräusch der aufspringenden Haustür riss ihn aus seinen Gedanken.
    »Hi!«, rief Anette aus der Diele. »Auf dem Thermometer draußen sind es schon wieder 26 Grad!« Sie kam in die Küche und legte ihm die Bildzeitung auf den Tisch. Auf der Titelseite prangte in riesigen schwarzen Lettern: »Die Geisel-Bank«.
    Ahrens betrachtete das große grobkörnige Schwarzweißfoto, das die Bank in Gladbeck-Rentfort und den nur mit einer Badehose bekleideten Polizisten zeigte. Was für ein idiotisches Bild, dachte er.
    Seine erste Kamera, eine Contaflex Super B von Zeiss Ikon, hatte ihm sein Vater, der 30 Jahre im Schiffsbau gearbeitet und kurz nach dem Konkurs der AG Weser 1983 an einem Herzinfarkt gestorben war, geschenkt.
    Ahrens hatte von einer eigenen Kamera geträumt, seit er im Stern die von Perry Kretz während des Vietnamkriegs gemachten Fotos entdeckt hatte. Und als er wenig später per Zufall auf RenéBurris Aufnahme aus dem Jahr 1963 stieß, die den jungen, damals verdammt gutaussehenden Che Guevera Zigarre rauchend zeigte, stand sein Berufswunsch fest: Fotograf.
    1979 hatte er bereits für Zeitungen und überregional erscheinende Magazine wie Die Bunte fotografiert, insgeheim aber immer davon geträumt, richtig große Fotoreportagen zu machen, so wie es sein Idol Perry Kretz einst getan hatte. Im November 1981 bekam er überraschend seine große Chance: Der Stern schickte ihn gemeinsam mit einem Reporter nach Frankfurt an die Startbahn-West, wo er

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