Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
vor all den Kollegen.«
Er wollte etwas Lässiges antworten, spürte aber, dass in seinem Magen keineswegs alles Roger war. Ganz im Gegenteil. Er ließ den Hörer achtlos zu Boden fallen und lief in die Gästetoilette. Die Schüssel umklammernd, erbrach er sich in schmerzenden Schüben.
***
In Adams auf 28 Grad Celsius aufgeheizter 54-Quadratmeter-Dachwohnung läutete das Telefon. Quälend und so beharrlich, dass er nicht anders konnte, als dem bösartigen Drängen schließlich nachzugeben.
Noch schläfrig wankte er in die kleine, schlauchähnliche Diele, wo das zirpende Biest zwischen seinen Schuhen und seiner Jacke, die er in der Nacht einfach achtlos dorthin geschleudert hatte, auf dem Boden lag und weiter schamlos tat, was es auf Geheiß des Anrufers tun sollte: Läuten, läuten, läuten!
»Karoly?«, sagte er und fuhr sich über sein fühlloses, verschwitztes Gesicht.
»Nein, ich bin’s, Adam, Martha«, sagte die Stimme aufgeregt und überschlug sich fast dabei. »Ich hab’s im Fernsehen gesehen. O mein Gott, Adam, mein Schatz!«
Aha, sie erinnert sich also wieder an mich, dachte er. An den Polacken, der ihr keine Kinder machen kann. Da war so wenig. Selbst die Tatsache, dass sie ihn gerade mal vor ein paar Tagen mit der für einen Mann schmachvollsten aller Begründungen verlassen hatte, berührte ihn nicht mehr, sondern erschien ihm inzwischen bloß noch wie eine Szene aus einem Film, den er einmal als Kind gesehen und von dem ihm nur wenige Sequenzen unscharf in Erinnerung geblieben waren. Das alles musste in einer anderen Zeit stattgefunden haben. In der Zeit vor Enschede. Vor den Schüssen. Und dahin führte kein Weg zurück.
»Was willst du?«, sagte er. Jetzt hat sie Schuldgefühle, dachte er. Nur darum ruft sie an.
»Was ich will?«, rief sie mit der gleichen Auflehnung in der Stimme, die er in ihren Augen gesehen hatte, als er sie anbettelte, nicht zu gehen, ihn nicht zu verlassen. Nicht alles kaputtzumachen. »Was ich will, fragst du?«, wiederholte sie. »Dass wir zusammenbleiben.«
Er musste an ihre erste Begegnung bei Wackernagel denken und wie sie ihn, über ihre Schreibmaschine gebeugt, jedes Mal angesehen hatte, wenn er das Büro betrat.
»Nein«, sagte er. »Es ist vorbei. Aus.«
»Aber wieso denn, Adam?«, rief sie. »Ich liebe dich doch, Adam, bitte!«
Er verspürte plötzlich das starke Verlangen, sich zu bewegen, und begann, in der Diele auf und ab zu laufen. Er setzte einen Fuß vor den anderen, bis er an der Tür angelangt war, kehrtmachte und wieder loslief. Er musste sich bewegen, um nicht verrückt zu werden.
Noch vor ein paar Stunden hätte er alles für ihre Liebe gegeben. Hätte darum gebettelt, gefleht. Doch jetzt nicht mehr. Jetzt wollte er nur noch, dass sie ihn in Ruhe ließ, dass sie schwieg und aus seinem Leben hinausging wie ein Arzt aus einem Krankenzimmer, in dem er nicht mehr gebraucht wurde.
»Adam«, rief sie. »Bitte!«
»Lass mich!«, wiederholte er. »Lass mich einfach, ja!?« Dann unterbrach er die Verbindung.
***
Bertram schob den Smiley wieder in seine Hosentasche, nachdem Sylvia grinsend an ihren Schreibtisch zurückgekehrt war, und nahm sich die Kladde mit den Meldungen zum Geiseldrama vor. Er würde Maibach zeigen, was in ihm steckte!
Er schlug die Mappe auf und überflog die Artikel kurz. Dann nahm er sich den obersten und begann zu lesen. Die Meldung war erst vor einer Viertelstunde über den Ticker gegangen: Die Gangster waren auf dem Weg nach Köln. Das Telefon klingelte. Ohne seinen Blick von dem Artikel zu lösen, griff er nach dem Hörer, hielt ihn ans Ohr und sagte: »Bertram, RTL Aktuell?«
»Ich bin’s«, sagte die Stimme.
Bertram begriff sofort, wer dran war. »Hey, hallo«, sagte er.
»Ich muss mit dir reden. Um zehn im Campi?«
»Unmöglich!«, erwiderte Bertram. »Ich muss gleich mit einem Tonmann raus. Die Geiselgangster kommen nach Köln.«
»Wovon redest du?«, sagte Sirvan und klang hörbar gereizt.
»Liest du keine Zeitung? Oder wie wär’s mal zur Abwechslung mit Radio oder Fernsehen? RTL Aktuell zum Beispiel«, sagte er. »Ganz Deutschland redet im Moment von nichts anderem als von diesen beiden Irren.«
»Ach das, ja«, sagte sie. »Thomas, bitte, es ist wichtig!«
»Hat das nicht Zeit bis morgen? Ich weiß im Moment wirklich nicht, wo mir der Kopf steht!«
»Nein, Thomas, das hat es nicht«, fauchte sie so energisch, dass er den Hörer reflexartig ein paar Zentimeter vom Ohr wegnahm. »Also ich ruf dich an,
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