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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Gouverneurs. Man hatte ihn umgebracht, seine Leiche mit Benzin übergossen und angezündet. Er war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, und sein Computer war zu einer Art Skulptur verschmolzen. Jay hatte das Ganze damals fotografiert, und Brigitte sah seine Fotos später im Stern. Der Mann saß an einem Metalltisch, als der Überfall erfolgte. Seine steifen Arme streckten sich zu den geborstenen Fenstern. Sein Gesicht als solches war nicht mehr zu erkennen, die Haut eingefallen und ledrig, der Mund zu einem Schrei verzerrt. Zwischen den Zähnen quoll seine geschwollene Zunge hervor. Inden feuchten braunen Augen des Mannes lag ein ungläubiges Staunen, aber kein Entsetzen.
    Bei der Untersuchung des Toten hatte der Polizist, der Martin und Jay für hundert Dollar in die Botschaft ließ, plötzlich ein kleines Schweizer Armeemesser hervorgeholt, mit ruhiger Hand die scharfe Seite der Klinge an den Nacken des Toten gelegt und etwas gelöst, das sich in dessen Haut eingegraben hatte: einen silberfarbenen Draht, eine Garrotte.
    Obwohl Brigitte die Geschichte bereits kannte, erschütterten Jays seltsam braunstichige Bilder sie nochmals schwer, Fotos, die ihr auf grausame Art und Weise zeigten, wozu Menschen fähig waren, die aufgehört hatten, an den Wert eines Lebens zu glauben. Menschen wie der AFP-Fotograf, von dem Martin ihr erzählt hatte. Der Mann hatte den abgerissenen Kopf eines von einer Autobombe getöteten jungen Libanesen fotografiert und das Bild anschließend, grinsend und mit einer Flasche Heineken in der anderen Hand, stolz unter den im Hotel versammelten Kollegen herumgezeigt. Oder Typen wie Rösner und Degowski. Wie hatte sie glauben können, dass es diese Menschen nur am anderen Ende der Welt gäbe? Wie annehmen, dass sie in ihrem Haus vor alldem für immer sicher wäre?
    Wie sehr sie Martin vermisste. Ihn und das Leben, das sie mit ihm hätte führen können. Wie sie diese andere Brigitte vermisste, eine glückliche Mutter, selbstgewiss und gelassen. Stattdessen war sie eine wunderliche und kinderlose Frau geworden, eine Frau, die nichts anderes bewegte als Mutlosigkeit und Wut, namenlose Wut, die ihre Traurigkeit nun lange genug verhindert hatte. Sie würde nach Spanien fahren, sie würde endlich Martins Witwe werden.
    Brigitte schreckte aus ihren Erinnerungen hoch, weil es oben an der Haustür klingelte. Sie ging hinauf, fuhr sich kurz über die Haare und öffnete. Vor ihr stand ein junger Mann in einem meerblauen Overall, der einen Werkzeugkasten unter dem Arm trug.Über seine Schulter hinweg konnte sie den weißen Schriftzug auf dem ebenfalls blauen Renault 4 Kombi lesen: Glaserei Rückert. Das Schönste, was Glas passieren kann.
    Sie führte den Mann in die Küche und deutete auf das eingeschlagene Fenster, stellte ihm eine eiskalte Wasserflasche und ein Glas hin und ließ ihn allein. Ihre Maschine ging um 17.20. Das hieß: Sie musste erst in knapp vier Stunden am Flughafen sein. Trotzdem befiel sie eine wachsende und nur schwer zu bändigende Unruhe. Sie würde nur das Nötigste einpacken, Kleider für höchstens drei, vier Tage.
    Langsam wie ein Spielzeughase, dessen Batterien jeden Moment den Geist aufgaben, setzte sie sich in Bewegung, steuerte auf das Schlafzimmer zu und blieb schließlich vor dem fast bis an die Decke reichenden Kirschbaumkleiderschrank stehen.
    Martin und sie hatten bis zuletzt die gleiche Konfektionsgröße gehabt, so dass sie schon mal in eine seiner Jeans stieg, wenn ihre gerade in der Wäsche waren. Außerdem hatte sie es geliebt, in seinen Hemden herumzulaufen, mit lässig bis zu den Ellbogen aufgekrempelten Ärmeln. Manchmal hatte sie auch seine Basecaps getragen. Und seine Uhr, einen Fliegerchronographen von IWC. Die Uhr hatte ihn in den Tod begleitet.
    Sie machte den Schrank auf und ließ ihren Blick über die Hemden, Kleider, Blusen und Pullis wandern. Im Fach darüber lagen noch einige wenige von Martins Sachen, von denen sie sich gegen jede Vernunft nicht hatte trennen können: abgeschabte Brieftaschen, seine Ausweise, eine defekte Omega. Daneben Basecaps, Gürtel, Fotowesten. Den Rest hatte sie in die Altkleidersammlung gegeben oder in Kisten verpackt, hinunter in den Keller geschafft. Wie sie so dastand und ihren Blick auf seinen Sachen ruhen ließ, war ihr, als stehe er hinter ihr, als müsse sie sich bloß umdrehen zu ihm. Und schon hörte sie ihn in Gedanken mit seiner tiefen, leicht brüchigen Stimme sprechen, hörte ihn sein kleines Einmaleins des Überlebens

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