Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Sekunde veränderten. Gleichzeitig trieb der Geruch von sonnenwarmem Stein und Benzin ins Zimmer.
Die Nacht breitete sich langsam über die Stadt, hüllte die Ebenen und Anhöhen der Eifel und die Wälder und Flüsse im Bergischen mit ihrer Schwärze ein und brachte allen ein wenig Abkühlung.Thomas Bertram war zufrieden und dachte: Eigentlich ist doch alles gut.
Die Würfel waren gefallen, und er hatte die Vorstellung, in Kürze eine Zeitkapsel zu besteigen, die abheben und ihn gemeinsam mit Sylvia durch die Nacht tragen würde. Er würde Amina eine Zeitlang verlassen, und auch Paul. Wahrscheinlich lag sie in ihrem Bett und verstand nicht, warum er nicht kam.
Zehn Minuten später stand Bertram in der Diele, drückte den Telefonstecker wieder in die Buchse und lauschte dem mechanischen Klicken und Einrasten des Anrufbeantworters, der sich wieder in Startposition brachte. Er ignorierte dessen Blinken, zog die Tür hinter sich zu, schloss ab und drückte den Schalter der Treppenhausbeleuchtung. Bis ins Carlo brauchte er keine zehn Minuten. Es blieb ihm also noch genug Zeit, um für Sylvia ein paar Blumen zu besorgen. Mit ein bisschen Glück bekam er rote Rosen.
***
Kurz bevor sie auf dem El-Prat-Airport, knapp 15 Kilometer südwestlich von Barcelona entfernt, landeten, ließ Brigitte sich von der Stewardess noch einen Whisky bringen, ihren zweiten, seit sie in Köln gestartet waren.
Sie schwenkte das Glas und versetzte die bräunliche Flüssigkeit, in der sich zwei rasch kleiner werdende Eiswürfel verloren, in ein sanftes Kreisen. Dann führte sie es an die Lippen, nippte daran, trank schließlich einen großen Schluck und hoffte, ein wenig betrunken davon zu werden. Denn seit ein paar Minuten kämpfte sie mit etwas, das sie seit Martins Tod so nicht mehr erlebt hatte: Angst. Sie hatte während des Lesens plötzlich Angst bekommen, dem, was sie in der Carrer du Pau Casals 16 in Vendrell erwartete, womöglich nicht gewachsen zu sein. Prompt fing sie an zu schwitzen und registrierte ein Brennen in den Achselhöhlen.
Sie kippte den Rest rasch hinterher, denn die Stewardess stand bereits mit ausgestrecktem Arm vor ihr, um das leere Glas entgegenzunehmen. In wenigen Minuten würde die Maschine rasch an Höhe verlieren, sinken und kurz darauf mit einem dumpfen Schlag auf hartem, spanischem Boden aufkommen. Die roten Lämpchen, die das unverzügliche Anschnallen befahlen, brannten seit ein paar Sekunden.
Zwanzig Minuten später stand Brigitte in der Gepäckausgabehalle von El Prat und hielt mit Blick auf die auf dem Förderband an ihr vorüberziehenden Gepäckstücke Ausschau nach ihrer Tasche.
Hier, das spürte sie beim ersten Schritt aus der Halle, herrschte eine andere, eine erträglichere Hitze als noch in Köln. Und sofort meinte sie den Geruch des Meeres zu riechen, zu schmecken. Aber wahrscheinlich war das nur Einbildung, ein Wunschbild. Wie so vieles andere in ihrem Leben auch. Was sie hier, zwölfhundert Kilometer von zu Hause entfernt, erwartete, das konnte sie sich an fünf Fingern abzählen: Tränen und der traurige Anblick eines sterbenden Menschen, verbunden mit noch einmal aufgewühlten, schmerzhaften Erinnerungen. Trotzdem war sie fest entschlossen, den eingeschlagenen Weg bis zum wahrscheinlich bitteren Ende zu gehen.
Sie steuerte auf eines der zahllosen, in der tiefstehenden Sonne wartenden Taxis zu und hielt dessen Fahrer, der sich eine filterlose Zigarette lässig hinters Ohr geklemmt hatte, den Umschlag mit Mariannes Adresse hin. Der Mann nickte und legte ihre schwere Tasche in den Kofferraum, hielt ihr anschließend lächelnd die hintere Wagentür auf und stieg ein.
»Wie lange fahren wir?«, fragte Brigitte von hinten.
»Eine Stunde vielleicht«, antwortete der Fahrer zu ihrer Überraschung in ausgezeichnetem Deutsch, zog die Zigarette hinter dem Ohr hervor und steckte sie an. Auf ihre Frage, weshalb er so gut Deutsch spreche, antwortete er ihr, er sei mit seinen Eltern,die bei Dunlop in Philippsburg gearbeitet hätten, in den sechziger Jahren nach Deutschland gekommen und habe dort in sieben Schuljahren die Sprache Goethes und Heines gelernt, wie er sagte.
Die Fahrt über staubige, sich in langgezogenen Schleifen durch das karge, versengte Land windenden Straßen führte über schroffe, an verbranntes Brot erinnernde Hänge, die sich mit ausgedörrtem Flachland abwechselten. Hin und wieder schoben sich versprengte Weiler ins Bild, triste, weiß getünchte Anwesen, vor denen Hühner im
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