Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
den Hof kam, stand seine KTM in Flammen wie ein tibetanischer Mönch. Grellrote Feuerzungen schlugen meterhoch aus dem Motor hervor und arbeiteten sich über den glühenden Vergaser hinweg langsam in Richtung Sitzbank vor, deren erhitztes Gummi sich teilweise verflüssigt hatte und in dünnen schwarzglänzenden Schnüren auf den Boden troff. Dann knallte es, und die Verglasung der Armaturen explodierte. Anschließend zerbarst der rechte Außenspiegel, dessen Glassplitter wie in die Luft geworfene Edelsteine auf den Boden rieselten, und zuletzt auch der linke.
Im nächsten Moment registrierte Marc, der sich nicht vom Fleck rührte, obwohl der Tank jeden Moment hochzugehen drohte, dass ein Mann mit einem Feuerlöscher an ihm vorbeirannte, einen Meter vor dem brennenden Moped stehen blieb und begann, es mit einem dicken weißen Strahl einzuschäumen. Nachdem er den Brand unter Kontrolle und kurz darauf gelöschthatte, sah er Marc fragend an und sagte: »Was, glauben Sie, ist passiert?«
In den offenen Fenstern standen die Angestellten und Patienten und spähten neugierig heraus.
Es dauerte eine Weile, ehe Marc etwas sagen konnte. Doch mit Blick auf das dampfende, von den Flammen und der herabtropfenden hellen Löschmasse schrecklich verunstaltete Gefährt und dem Geruch von verschmortem Gummi in der Nase antwortete er schließlich: »Ich weiß es nicht genau, aber ich kann es mir denken!«
***
In Momenten grenzenloser Selbstüberschätzung wünschte er sich, das Schicksal möge ihn in den Mittelpunkt eines Dramas rücken, eines Unfalls, einer Krankheit oder eines sonst wie gearteten Unglücks, das ihn zum Adressaten menschlicher Anteilnahme und nicht nachlassenden Trostes machte und natürlich zuletzt als Triumphator daraus hervorgehen ließ.
Als Thomas Bertram an diesem Tag, dem 17. August 1988, gegen 14 Uhr 10, in der RTL-Redaktion an der Aachener Straße 1036 an seinem Schreibtisch saß und sein Telefon klingelte, hatte das Schicksal ihn in Form der aufgeregten Stimme seiner Freundin Amina endlich erhört.
Schon wenige Minuten später hätte Bertram Gott weiß was dafür gegeben, wenn es noch einmal einen Bogen um ihn und die Seinen gemacht hätte. Doch der Knopf seiner Stoppuhr war von Aminas Stimme unwiderruflich gedrückt worden, und die ersten Sekunden der ihm in diesem ganz persönlichen Drama noch verbleibenden knapp 23 Stunden tickten bereits unbarmherzig herunter.
»Du musst sofort kommen, Thomas. Paul geht es schlecht!«, erklang ihre Stimme, und Bertram konnte hören, welche Qualen sie litt.
»O Gott!«, entfuhr es ihm, während die Praktikantin Sylvia langsam an ihm vorbei zum Faxgerät stöckelte und seine Blicke auf sich zog. Sie trug ein schulterfreies zitronenfaltergelbes Top, dazu einen verwirrend knappen verwaschenen Minirock aus Jeansstoff und glänzende knallrote Pumps, die seine Phantasie zusätzlich anstachelten.
Während ihrer ersten gemeinsamen und für sie beide alles andere als vielversprechend verlaufenden Tage bei RTL hatte er Sylvia, von der kugelrunden Amina zu diesem Zeitpunkt bereits als Sexualpartner komplett ignoriert, immer wieder hinterhergeschielt. Was ihn, sexuell unterernährt, dabei um den Verstand zu bringen schien, war die tiefe, gut sichtbare Falte, welche ihre beiden kugelrunden Brüste scheitelgenau voneinander trennte. Bis Sylvia sich irgendwann einmal während einer Mittagspause lässig eine Strähne ihres erdbeerblonden lockigen Haars hinters Ohr strich, stolz an sich herunterblickte und grinsend sagte: »Nur gucken. Aber nicht anfassen.«
Bertram war wie auf Knopfdruck rot geworden und versuchte sein Erröten mit einem gekünstelten Lachen zu überspielen. Da tippte sie ihm mit der Spitze ihres Zeigefingers flüchtig an die Nasenspitze, lächelte und sagte: »Du bist ja wirklich süß.«
Mit den Worten »Was ist denn mit ihm?«, riss Bertram sich von Sylvia los und presste den Hörer ans Ohr, so, als könne er Amina dadurch ein Stückchen näher kommen.
»Er hat eine Infektion, außerdem leichte Probleme mit dem Bauch. Thomas, komm bitte. Ich hab solche Angst.«
Im selben Moment betrat Frank Maibach den Raum, sah sich kurz um und blieb vor Bertrams Schreibtisch stehen. Als sei der Telefonhörer, den Bertram ans Ohr gedrückt hielt, unsichtbar, sagte er: »Schön, Sie zu sehen, Bertram. Diese Geiselsache? Haben Sie die auf dem Schirm?«
»Ja, irgendwie schon«, log Bertram.
»Na prima«, sagte Maibach, »dann kommen Sie mal mit in mein Büro.«
»Aber
Weitere Kostenlose Bücher