Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
für Träume kein Platz mehr in ihrem Leben.
Hanusch, wie sie Rösner seit seiner Jugend nannten, war nervös. Die Enden seiner Nerven schienen wegen der Müdigkeit und der ständigen Anspannung zu glühen und auszufransen. Er war total überreizt. Die Kopfhaut juckte, dazu das ständige Sodbrennen von dem vielen Kaffee, den Zigaretten und Tabletten. Ihm war, als schwappe in seinem Innern Salzsäure hin und her. Ein paar Tage weiter so, dachte er, und mein Magen ist am Arsch.
Er hatte von einem großen Ding geträumt, einer Sache, über die alle reden würden. Und nun steckte er mittendrin. Ständig klebten Journalisten mit Kameras und Fotoapparaten an ihnen dran, und als er am Morgen in der Fußgängerzone an einem Kiosk in Vegesack die Schlagzeile der Bildzeitung sah, wusste er, dass sie berühmt waren.
Eines stand fest: Er würde nie wieder dahin zurückgehen, wo er so lange geschmort hatte, in den Bau. Mit dem Gestank von Scheiße und Schweiß und dem Lärm, der von den nackten Wänden widerhallte, es klang wie Kiesel, die in einer Blechbüchse geschütteltwurden. Eher würde er sich den Colt in den Mund stecken und abdrücken. Einen Bullen in die Birne schießen und ihn vor die Tür legen, damit sie wissen, dass man es ernst meint! Elf lange Jahre im Gefängnis hatten ihn solche Phantasien begleitet. Er hatte davon geträumt, einen Zug entgleisen zu lassen oder einen Richter zu entführen, um vom Staat Geld zu erpressen und sich zu rächen für das, was die Gesellschaft ihm angetan hatte. Seit die Bullen mittags versucht hatten, ihnen in der Autovermietung einen mit einem Peilsender ausgerüsteten Wagen anzudrehen, war sein Hass auf sie noch größer.
Nachdem sie eine halbe Stunde ziellos durch verschiedene Bremer Stadtteile gefahren waren, bemerkte er im Rückspiegel einen hellen Audi, in dem zwei Männer saßen. Er wusste sofort: Bullen! Zivilstreife! »Die Schweine hängen an uns dran!«, rief er und drosselte die Geschwindigkeit.
»Wegen euch ham wer wieder die Bullen anne Hacken!«, rief Degowski, sah sich nach hinten um und stieß dem neben ihm sitzenden Reinhold seinen schweren schwarzen Colt in die Rippen.
Rösner brüllte: »Na wartet, ihr Dreckschweine! Das könnt ihr haben!« Dann suchte er Degowskis Blick im Rückspiegel, nickte ihm kurz zu und packte seinen in der Mittelkonsole liegenden Colt Government.
Hart trat er auf die Bremse und brachte den BMW zum Stehen. Dann stießen sie die Türen auf, sprangen aus dem Wagen und richteten ihre Waffen auf den keine zehn Meter entfernten Audi. Da gab der Fahrer Vollgas und zog den Wagen mit einem riskanten Manöver an ihnen vorbei. Rösner ließ den Arm mit der Waffe sinken und rief dem davonrasenden Wagen hinterher: »Verdammte Dreckschweine!« Und zu Degowski sagte er: »Die wollen uns doch alle bloß verarschen.«
Dieser Steinwald von der Kripo, mit dem er kurz nach sechs vor laufender Kamera von dem türkischen Gemüseladen aus telefonierte, hatte einen ganz vernünftigen Eindruck auf ihn gemacht.Er hatte ihm sogar den Austausch der Geiseln gegen einen auf dem Rücken mit Handschellen gefesselten Beamten in Aussicht gestellt.
Am liebsten hätte er einfach auf die Kripo-Typen in dem Audi losgeballert, schoss stattdessen aber zweimal in die Luft.
Seine Pupillen weiteten sich wie der Verschluss einer Kamera. Kurz überkam ihn das Gefühl, als versuche einer der auf der gegenüberliegenden Straßenseite hinter den parkenden Autos postierten Journalisten, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Der Mann lächelte und nickte kurz. Im selben Moment fuhr ihm ein Adrenalinschub in den Magen, als liefe da eine Energieübertragung zwischen ihm und dem Mann. Die waren jetzt alle ganz scharf auf sie. Das konnte man förmlich riechen.
»Uns geht es nur darum, das Leben der beiden Personen, die Sie an Bord haben, zu schützen«, hatte Steinwald am Telefon zu ihm gesagt. »Klar, dass wir nicht zählen«, hatte Rösner ihm geantwortet, aber trotzdem versprochen, sich später wieder zu melden.
Seitdem war eine Dreiviertelstunde vergangen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte der weiße Audi. Sie standen immer noch vor dem Gemüseladen mit Blick auf den Busbahnhof, und Rösner sah die auf ihn gerichteten Kameras der Fernsehteams. Inzwischen konnten sie keinen Schritt mehr machen, ohne dass sie dabei gefilmt oder fotografiert wurden.
»Komm her, du Schwein!«, rief er über die Straße und zielte mit dem Colt auf den Audi. Der Beifahrer hielt ein Fernglas in
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