Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Eltern ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Adam hielt eine kleine Totenrede, die jedoch größtenteils im Tosen des Sturms, der den schweren, dicht niedergehenden Regen schräg übers Land trieb, unterging. Hinterher bewirteten sie das Dutzend Trauergäste, das sich zwischen den verwitterten und teils umgefallenen Grabsteinen trotz des schlechten Wetters eingefunden hatte, in ihrer feuchten Srodulaer Dreizimmerwohnung mit Kaffee und Kuchen und Ś liwowica und Kontuszówka und blätterten, nachdem die Gäste gegangen waren, noch lange in den Fotoalben, in denenKachna Palizynska, wie sie von Geburt an hieß, als junges Mädchen, strahlende Braut und stolze junge Mutter zu sehen war.
Was hätte er dafür gegeben, jetzt, in diesen Minuten, wieder zu Hause, in Polen, in Sosnowitz zu sein, wo die Männer die im Spätnachmittagslicht flirrenden Felder bestellten, Kinder durch die unter der Hitze leise knackenden Wälder streiften und zur Abkühlung in Bächen wateten und nur der ins nahe Kattowitz fahrende Güterzug zu hören war, der die Stille mit seinem Rattern und Rauschen für ein paar Sekunden zerriss, ehe er am Horizont kleiner wurde und das Schweigen zurückkehrte und mit ihm das Summen der Insekten in der Windstille.
***
Sie hatten sich in der stockenden Wärme seines abgedunkelten Schlafzimmers langsam und träge geliebt. Nun lagen sie schweißgebadet nebeneinander, und Barbara blies kleine, konturscharfe Rauchkringel an die Decke. Sobald die wabernden Gebilde aber in die unsichtbaren, Kälte vortäuschenden Luftwirbel gerieten, die der surrend auf dem Nachtisch stehende Ventilator in das Halbdunkel des Zimmers blies, zerstoben sie und lösten sich auf.
Rolf Kirchner hatte seine rechte Hand wie zum Schutz über ihre goldbraun behaarte und in Form eines länglichen Keils rasierte Scham gelegt, an der sich fühlbar Spuren seines Spermas befanden, und ließ seinen Zeigefinger gedankenverloren in dem feuchten Haarnest kreisen.
Zum gekippten Fenster drang das gedämpfte Knattern eines Mopeds herein, und Kirchner, der minutenlang reglos dagelegen und sich der angenehmen Leere überlassen hatte, die ihn jedes Mal nach dem Orgasmus überfiel, stellte die Kreisbewegung seines Fingers ein, schlug die Augen auf und sagte: »Ich hab kein gutes Gefühl.«
Barbara stieß Rauch zwischen ihren spaltbreit geöffneten Lippen aus, erhob sich und drückte die Zigarette in dem neben demVentilator stehenden Keramikaschenbecher aus. »Deine Kollegen in Bremen machen das schon, Rolf. Vertrau ihnen einfach, okay?«
Sie wusste natürlich, dass sie Kirchner damit nicht wirklich beruhigen und von seinen immer gleichen, sich seit Stunden im Kreis drehenden Gedanken abbringen konnte. Es setzte ihr zu, mitansehen zu müssen, wie er darunter litt, zur Tatenlosigkeit verurteilt zu sein. So scheinbar leicht es ihr eine Stunde zuvor gefallen war, ihn zum Sex anzustiften, so schwer erschien es ihr nun, ihn von seinem Gedankenkarussell herunterzuholen.
»Wir hätten gestern handeln müssen, ganz egal, was die in Recklinghausen dazu gesagt hätten!«, sagte er. Minutenlang hatte Barbara sich, ehe sie im Bett gelandet waren, ähnliche Sätze von ihm anhören müssen. Bis sie es irgendwann nicht mehr aushielt, ihn am Arm fasste und sagte: »Sie hatten es euch aber verboten, verdammt noch mal! Also hör auf damit! Du bist aus der Sache raus, Rolf, also finde dich, um Himmels willen, endlich damit ab!«
Kirchner löste sich langsam aus ihrem Griff und sah sie lange an, brüllte dann aber nicht los, wie sie es erwartete, sondern küsste sie auf die Stirn, nahm sie in den Arm und sagte: »Ich versuch’s ja, aber ich schaff es nicht.«
Sie hatten vor dem Fernseher gesessen und mitangesehen, wie Rösner und Degowski den Bus kaperten. Kirchner hatte versucht, Andreas Steinwald von der Kripo Bremen zu erreichen, den er Mitte der siebziger Jahre auf einer Tagung des BKA zur Terrorismusabwehr in Wiesbaden kennengelernt hatte und den er seither schätzte.
Steinwald leitete die Bremer Sondereinheit vor Ort und war bereits in diesen Minuten ziemlich überfordert. Im Lagezentrum herrschte großes Durcheinander. Der Informationsaustausch unter den Kollegen stockte. Zwar hatte er den Busbahnhof räumen lassen, aber einen Plan zur schnellen unblutigen Beendigung des Dramas hatte Andreas Steinwald nicht.
Der pensionierte Bremer Generalstaatsanwalt Günter Wendisch, der später im Auftrag des Senats das Vorgehen der Polizei untersuchte, wird in seinem
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