Ein deutscher Wandersommer
sensible und äußerst scheue Wildart, die die Nähe des Menschen meidet, in die Wälder zurück und avancierte schon bald zum »König der Wälder«. Heute findet das Rotwild, von den meisten Förstern als Schädling bejagt, auchdort immer weniger Rückzugsgebiete. Der Name Rotwild kommt übrigens vom glänzenden rötlichen Sommerfell (im Winter ist es eher gräulich-braun).
Größe und Gewicht des Rotwilds variieren je nach Vorkommen recht stark. Eine ausgewachsene Hirschkuh (mit ungefähr sechs Jahren) wiegt bis zu hundert Kilogramm, ein ausgewachsener Rothirsch (mit neun bis zehn Jahren) kann bis zu 250 Kilogramm schwer werden. Die stärksten Hirsche Deutschlands, auch von der Endenzahl her, leben erstaunlicherweise nördlich von Hamburg, wo sie zwischen dem Segeberger Forst und Duvenstedter Brok hin und her wechseln. Sehr kapitale Hirsche gibt es außerdem im Wittgensteiner Land und in einigen Gegenden in Niedersachsen. Dafür sind die Chancen, überhaupt Rotwild zu Gesicht zu bekommen, im Thüringer Wald recht gut, speziell im Naturschutzgebiet Vessertal. Wer Rotwild beobachten will, muss sehr gut gegen den Wind pirschen können, das Gelände nutzen, extrem leise sein und überaus wache Sinne haben, da Rotwild nicht nur scheu, sondern auch sehr vorsichtig und eher dämmerungs- und nachtaktiv ist. Da der Durchschnittswanderer damit in der Regel überfordert ist, bleibt ihm nur die Möglichkeit, das Wild von einem Hochsitz aus zu belauern – womit er, was die wenigsten wissen, in einem Privatforst Eigentumsrechte verletzt; natürlich nicht mit der Beobachtung der Tiere, sondern mit der Nutzung des Hochsitzes. In großen staatlichen Schutzgebieten oder in Nationalparks hingegen stehen meist an schönen Lichtungen, an Stellen, wo es gutes Futter gibt, oder an Brunftplätzen extra Beobachtungstribünen oder Hochsitze, von wo aus man »legal« Rotwild beobachten kann.
Tatsächlich bekamen Cleo und ich im Vessertal Hirsche zu sehen, sogar noch in größeren Gruppen. Rotwild lebtdie meiste Zeit des Jahres in Rudeln – zumindest in Familienverbänden – mit einer klaren Hierarchie und Sozialstruktur. Allerdings: Wenn die Alttiere, das sind weibliche Tiere mit Nachwuchs, Ende Mai, Anfang Juni merken, dass sie in ein paar Tagen »setzen«, also gebären, vertreiben sie ihr Kalb vom Vorjahr. Diese sogenannten Schmaltiere stehen dann manchmal in kleinen Gruppen zusammen, einzelne folgen auch der Mutter. Da alle Alttiere mehr oder weniger zur gleichen Zeit setzen und die Rudel hauptsächlich aus weiblichen Tieren bestehen, bedeutet das, dass sich das Rudel zu dieser Zeit mehr oder weniger auflöst. Bald nach der Geburt findet es sich wieder zusammen, wobei die Rangordnung neu festgelegt wird, also auch, wer das Leittier ist. Leittier ist immer ein starkes, erfahrenes Tier. Die neuen Kälber bilden innerhalb des Rudels kleine Gruppen, fast eine Art Kindergarten, die meistens von nur einer Hirschkuh betreut werden; zum Säugen jedoch geht jedes Kalb zu seiner Mutter.
Obwohl es mehr Weibchen als Männchen gibt, wird in der Regel jede brunftige Hirschkuh gedeckt, wohingegen nur wenige Hirsche zum Zug kommen. Manche werden sich wahrscheinlich ihr Leben lang nicht paaren dürfen, weil sie nie dominant genug werden. Andere können ihre Gene über mehrere Jahre hinweg weitergeben. Das Paarungsverhalten ist sehr stark ritualisiert. Da wird geröhrt, da werden die Weibchen zusammengetrieben, da werden Kämpfe mit Rivalen ausgefochten. All das kostet Kraft, sodass selbst ein sehr kapitaler Hirsch sich nur für vielleicht ein, zwei Wochen als Platzhirsch behaupten kann und irgendwann einem ausgeruhten Widersacher, der später beiwechselt, das Feld überlassen muss. Da Hirsche während der drei bis vier Wochen dauernden Brunftzeit – etwa von Anfang/Mitte September bis Anfang/Mitte Oktober – sogut wie keine Nahrung zu sich nehmen, verlieren sie stark an Körpergewicht. Es kommt sogar vor, dass Hirsche nach der Paarungszeit, spätestens im folgenden Winter an Entkräftung sterben, weil sie sich in der Brunft völlig verausgabt haben. Die Paarung an sich ist eine Sache von wenigen Sekunden: ein Sprung nach vorn, der sogenannte Paarungssprung, der Hirsch reitet auf, ejakuliert, und das war’s.
Den Hirschen wächst Jahr für Jahr ein neues Geweih. Eigentlich eine totale Verschwendung der Natur, da dazu jedes Mal beträchtliche Mengen an Kalzium, Eiweiß, Mineralstoffen und Spurenelementen benötigt werden. Die Geweihentwicklung
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