Ein deutscher Wandersommer
Rücksicht darauf, ob das ein edler Bergahorn ist oder eine ordinäre Erle, die für den Forstmann nichts wert ist. Die dunkle Färbung des Geweihs entsteht übrigens durch die Gerbsäure der Baumrinde.
Ein weiterer, noch heute verbreiteter Irrglaube ist, dass das Reh ein weiblicher oder ein junger Hirsch sei. Zwar zählen beide, wie auch etwa das Ren oder der Elch, zur Familie der Cerviden, also den Geweihträgern, doch zu verschiedenen Unterfamilien, und die Unterschiede zwischen Rotwild (Echter Hirsch) und Reh (Trughirsch) sind enorm: Rehe sind weit zahlreicher, dafür deutlich kleiner und somit leichter. Ein Rehbock wiegt bis maximal 25 Kilogramm, eine Ricke bis höchstens 22 Kilogramm. Rehe leben in kleinen Familienverbänden oder meist als Einzelgänger. Sie sind untereinander sehr streitsüchtig und haben ein ausgeprägtes Territorialverhalten; sie würden sich daher nie, wie Rotwild es tut, zu größeren Rudeln zusammenschließen, um Feinddruck durch Wölfe oder andere Beutegreifer besser zu widerstehen. Da der Schutz von Artgenossen fehlt, bleibt ein neugeborenes Kitz »gedrückt«, das heißt flach auf den Boden gepresst, in Deckung liegen, bis es mit der Mutter Schritt halten kann. Rehwild hat mit der Nähe des Menschen kein Problem. Es lebt nicht nur im Wald, sondern ebenso in Stadtparks, rund um Schrebergartenkolonien oder auf Friedhöfen. Rehe sind sogenannte Konzentratselektierer und bei der Nahrungssuche ständig in Bewegung, hier mal ein Kräuterchen, da mal ein Blättchen, dort ein Zweiglein. Rotwild dagegen ist ein Flächenäser, das, hat es einen schönen, ruhig gelegenen Kleeacker mitten im Wald gefunden, dort so lange bleibt, bis der Klee vollständig abgefressen ist. Ein Rehbock wirft sein Geweih nicht erst Ende Januar oder im Februar ab, sondern schon zwischen Oktober und November. Außerdem haben Rehe zwischen den beiden Geweihstangen eine Duftdrüse. Durch Schlagen und Fegen dieser Duftdrüse an Bäumen und Büschen markieren sie ihr Revier. Fazit: Aus Bambi kann nie und nimmer ein Hirsch werden.
Der Hirschvater
Frauenwald am Rennsteig ist ein kleiner Ort im Naturschutzgebiet Vessertal in der Nähe des Autobahndreiecks Suhl, mit seinen gerade mal 1000 Einwohnern eher ein Dorf, aber meines Wissens das einzige in Deutschland, wo man dem »König der Wälder« ein Denkmal gesetzt hat. Gleich am Ortseingang thront auf einem mehrere Meter hohen Monument ein röhrender Hirsch.
»Guck mal, Cleo«, sagte ich auf unserem Weg durch Frauenwald, »das Haus da sieht aus wie ein Jagdschloss der Herzöge von Bayern.«
Ich stützte meine Unterarme, Cleo ihre Vorderpfoten auf dem Gartentor ab, und so schauten wir uns dieses Haus an, das nicht so recht in diese Gegend passen wollte.
»Das muss das Haus eines Jägers sein. Wer sonst sollte hier wohnen? Los, wir fragen mal.«
Tatsächlich war Karl Obringer zu DDR -Zeiten Staatsförster und Staatsjäger.
»Wie groß war Ihr Revier, und wer jagte denn da?«, fragte ich.
»Das Staatsjagdgebiet, so hieß das ja damals«, erzählte Karl Obringer, »zog sich von hier, also vom Rennsteig, über Oberhof und Luisenthal bis nach Ohrdruf kurz vor Gotha. Erich Honecker, Willi Stoph und wie sie alle hießen – das halbe Politbüro bestand ja aus Jägern – kamen hierher zur Jagd. Honecker veranstaltete in den Feldrevieren zwischen Erfurt und Leipzig auch riesige Hasentreibjagden für Diplomaten. Am Ende des Tages mussten da in großen runden Mustern 1000 Hasen auf der Erde liegen. Und wenn nur siebenhundert geschossen worden waren, schummelten wir halt aus dem Kühlhaus dreihundert dazu.«
Verwundert schüttelte ich den Kopf. »Warum das denn?«
»Na, damit die Strecke ja perfekt aussah.«
Jagd in der DDR und generell im Ostblock hatte extrem feudalistische Auswüchse. So wie früher Leibeigene dafür sorgen mussten, dass dem Adel genügend und vor allem prächtige Tiere vor die Büchse kamen, mussten der Hirschvater und seine Kollegen für die Politiker das Wild hegen. Da gab es sogar eigens Futtermeister, die nur dafür verantwortlich waren, dass das Wild das ganze Jahr über gefüttert wurde, damit nur ja die Geweihe kräftig wuchsen. Überhege, so nenne ich es mal, gab es natürlich auch in der Bundesrepublik in großen Privatforsten, aber nicht so ausgeprägt.
»Wir haben hier in der Region immer noch viel Rotwild, und die Brunft ist eine echte Touristenattraktion. In kalten, klaren Septembernächten und Anfang Oktober kann man hier ohne weiteres sechzig
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