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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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duftet oder der Hafer in die Milchreife kommt, dann kann das Wild dem nicht widerstehen. Warum sollte es auch? Da ist Nahrung im Überfluss, und die Tiere wissen nicht, dass sie nicht ihnen gehört, dass sie ganz andere Zwecke hat. Also gehen sie in das Feld und fressen, bis sie nicht mehr können, so, wie sie sich im Herbst im Wald mit Bucheckern und Eicheln den Bauch vollschlagen. Denn sie sagen sich: Das ist meine Mast, meine Nahrung für den langen Winter, und es muss doch einen Grund geben, dass es hier so viel davon gibt. Na also! Während wir sagen: »Jetzt ist es aber genug mit der Schwarzwälder Kirschtorte«, frisst ein Tier so lange, bis nichts mehr reingeht.
    Dabei sind sie durchaus wählerisch, und speziell die Wildschweine sind Gourmets. Einige Bauern hatten damals die kühne Idee, Mais anzubauen. Vor dreißig Jahren war das wirklich etwas Besonderes. Auf den kargen Böden Niedersachsens war bis dahin Mais nie gediehen, aber Kunstdünger, die Züchtung neuer Maissorten und neue Landwirtschaftsmaschinen machten auf einmal den Anbau riesiger Maisflächen möglich und vor allem rentabel. Wenn das Klima passte und der Mais prächtig wuchs, waren solche Felder das reinste Schlaraffenland für Wildschweine. Sie zogen morgens erst gar nicht mehr in die umliegenden Wälder, sondern blieben im Mais. Und da sie nicht dumm waren, futterten sie nicht am Rand, wo man sie leicht hätte entdecken können, sondern in der Mitte der Felder. Wenn der Bauer dann im Herbst mit seinem Häcksler kam, um den Mais zu häckseln, sah von außen alles richtig gut aus, aber im inneren Bereich hatten die Wildschweine riesige Flächen komplett verwüstet.
    Auf den Versuchssaatfeldern, auf denen verschiedene Kartoffelsorten angebaut wurden, war es ein bisschen anders. In die Kartoffelfelder gingen die Wildschweine nur nachts, und zogen sich am frühen Morgen in den Wald zurück. In der ersten Reihe eines solchen Felds stand vielleicht Sieglinde; na ja, geht so. In der zweiten Reihe wuchs eine stärkehaltigere Kartoffel; pfui Deibel, die schmeckt ja überhaupt nicht. In der dritten Reihe dann Granola; mmh, lecker! Und dann machten sich, sagen wir mal zwanzig ausgewachsene Wildschweine plus Frischlinge, das wären dann locker weitere dreißig, vierzig, über die Saatkartoffeln her. Wenn man das als Jäger oder Förster übersah und eine solche Rotte ein paar Nächte Zeit hatte, sich immer nur das Beste herauszusuchen, mal hier, mal da zu probieren, pflügten sie innerhalb weniger Tage das gesamte Feld regelrecht um.
    Der Bauer explodierte und tobte. Dann rief er den Förster oder den Jäger an und brüllte: »Komm raus, die Sauen haben hier einen Riesenschaden angerichtet, dein Lehrling hat wohl die ganze Nacht gepennt!« Und: »Der soll seinen Arsch nehmen und ihn nachts ins Kartoffelfeld setzen!« Dass ich nicht jede Nacht jedes Feld bewachen konnte und irgendwann auch mal schlafen musste, interessierte sie in dem Moment kein bisschen. Früher hatten die BauernHundehütten ins Feld gestellt und den kleinen Hof-Fiffi daran festgebunden, der sich dann die Seele aus dem Hals bellte. Da soll es allerdings Fälle gegeben haben, wo nach drei, vier Tagen nur noch die Kette und das Halsband da lagen …
    Ich suchte also nächtelang die Feld-Wald-Kanten ab. Minka war sehr scharf und hätte sich selbst nachts mit Wildschweinen angelegt. Zu ihrer eigenen Sicherheit musste sie bei solchen Pirschgängen allerdings an die Leine. Wildschweine stellen sich nämlich sofort und verstehen keinen Spaß, wenn nachts ein Jagdhund vorbeikommt, zumal wenn sie Junge haben. Bachen haben zwar nicht so lange Eckzähne wie Keiler, können einen Hund aber trotzdem schwer verletzen. Bachen können achtzig und mehr Kilogramm Lebendgewicht auf die Waage bringen, Minka hingegen wog nur ungefähr dreißig Kilogramm. Da Minka an der Leine ging, blieb ihr nicht viel übrig, als zu bellen und zu knurren. Und ich konnte nicht recht viel mehr tun, als in die Luft zu schießen, um die Tiere zu erschrecken und so vielleicht zu vertreiben. Bei Mond und wenn das Kartoffelkraut noch recht niedrig war, konnte ich auch einzelne Wildschweine schießen. Die Kunst bestand darin, zu erkennen, was ein führendes und was ein nicht führendes »Stück« – ein einzelnes Wildtier in der Jägersprache – war, also ob eine Bache gerade Frischlinge hatte.
    Wenige Menschen haben ein Problem, wenn es heißt, die Jäger gehen auf Wildschweinjagd. Das Wildschwein ist borstig, sieht irgendwie

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