Ein deutscher Wandersommer
ja sogenannte Fluchtburgen, und das Tier sich nirgends mehr blicken ließ. In der näheren Umgebung war alles abgeknabbert und lagen einige gefällte Bäume. Cleo lief hierhin und dorthin und schnüffelte interessiert an den verschiedenen Spuren, die der Biber hinterlassen hatte. Dann erwischte sie eine Stelle im Gras, die mit Bibergeil markiert war, und flippte regelrecht aus. Sie wälzte und rollte sich wie toll darin herum und konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Der Biber selbst, den sie zuvor im Wasser gesehen hatte, hatte sie komischerweise überhaupt nicht interessiert, aber das Bibergeil machte sie schier verrückt.
Mittlerweile war es richtig heiß geworden. In einiger Entfernung sahen wir eine Herde Wildpferde, die ähnlich aussahen wie Przewalskipferde und in dem Sumpfgebiet das Gras niedrig halten sollten. Richtig wild waren die Wildpferde allerdings nicht, denn sie standen in einem wenn auch riesigen umzäunten Areal mit Tränke. Auf einmal reckte Cleo die Nase, wurde ganz aufgeregt und äugte zu der Pferdeherde rüber, schnupperte wie wild, guckte mich an, guckte wieder rüber und wollte mir damit sagen: Lass mich los! Da ist Wild! Ich will das jetzt jagen! Nanu, dachte ich, was hat sie denn? Als Jagdhund interessiert sich Cleo normalerweise überhaupt nicht für Pferde. Pferde sind für Cleo kein Wild, sondern irgendwie Haustiere – mit denen muss man klarkommen, die werden nicht gehetzt. Cleo hatte außerdem in der Rhön ein negatives Erlebnis mit Pferden gehabt. Sie lief frei, wollte zu Pferden hin, die auf einer Koppel standen, sie begrüßen oder ein bisschen einen auf dicke Dame machen. Ich wurde durch irgendetwas abgelenkt, und auf einmal hörte ich einen Wahnsinnsquieker. In dem Moment, in dem ich mich umschaute, hing Cleo ein gutes Stück in der Luft. Sie hatte an dem Elektrozaun, der die Pferdekoppel umgab, einen derartigen Schlag bekommen, dass es sie regelrecht vom Boden riss. Cleo brachte den Stromschlag allerdings nicht mit dem Zaun, sondern mit den Pferden in Verbindung. Jedes Mal seither, wenn wir Pferden begegnet waren, war ihr Blick erst einmal nach allen Seiten gegangen, nach dem Motto: Hoffentlich passiert jetzt nicht wieder was, dass ich einen Riesensatz in die Luft mache. Dieses Mal jedoch nicht.
Während ich mich noch darüber wunderte, sah ich inmitten der etwa dreißig Pferde ein einzelnes Stück Rotwild, eine Hirschkuh. Unfassbar! Unter all den schwitzenden und daher etwas streng riechenden Pferden in einemMoor, das in der Hitze dampfte und jede Menge Gerüche abgab, hatte Cleo, noch bevor sie es sehen konnte, das Rotwild herausgewittert. Was für eine Leistung!
Fast genauso überrascht war ich davon, wie vertraut sich die Hirschkuh zwischen all den Pferden bewegte. Wie ich später vom Besitzer der Pferde erfuhr, hatte sie vor drei Jahren als Kalb ihre Mutter verloren und sich daraufhin der Pferdeherde angeschlossen. Verrückte Welt. Andererseits ein Musterbeispiel für das typische Wesen von Rotwild: Hirsche sind soziale Tiere; sie brauchen die Herde, um sich wohlzufühlen. Und für diese Hirschkuh waren nun die Pferde ihre Herde. Selbst zur Brunftzeit schloss sie sich nicht Ihresgleichen an, obwohl sie bestimmt brunftig wird. Und die Brunft war ja in Hörweite.
Auch wenn sich die Hirschkuh jetzt als Pferd betrachten mag: Cleo war ihr nicht geheuer, und während die Pferde an den Zaun kamen und Cleo vorsichtig beschnupperten, blieb sie auf Distanz.
Zwischen Altmark und Wendland
Je weiter Cleo und ich nach Norden wanderten, desto waldreicher wurde es. Genau genommen folgten wir der alten Grenze gerade etliche Kilometer von Westen nach Osten. Der Arendsee in der Altmark (Sachsen-Anhalt) lag noch ein gutes Stück vor uns, als wir in einiger Entfernung den Landkreis Lüchow-Dannenberg im Wendland (Niedersachsen) passierten, wo ich bei Wildmeister Karl Lapacek meine Ausbildung zum Revierjäger gemacht hatte. Ein wunderbarer Mann und einer der wenigen Menschen, von denen ich behaupte, dass sie mich für mein Leben geprägt haben; und ein hervorragender Forstmann und, wie dieJäger es nennen, ein waidgerechter Jäger, mit unglaublich viel Ahnung vom Wild und Kenntnissen über den Wald.
Das Wendland, einer der schönsten Landstriche in Deutschland mit sehr entspannten, grundsoliden Menschen, mit prachtvollen Gehöften, mit Moor-, Heide- und Bruchlandschaften zwischen großen Kiefernwäldern, erlangte traurige Berühmtheit durch das unsägliche Atommülllager Gorleben.
In den
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