Ein diebisches Vergnügen
dem Stadtplan.«
Sie standen draußen vor dem Restaurant, während Philippe
ihnen die Richtung wies, in der ihre Zielorte lagen – Sophies Boutiquen und Sams Kameraläden. Philippe selbst, der die schwere Bürde des Journalismus auf seinen Schultern trug, brach auf, um über den ersten Salon de l’érotisme zu berichten, ein einzigartiges, weitgehend textilfreies und infolgedessen umweltschonendes Ereignis. Als er laut und durchaus detailverliebt darüber spekulierte, welche Oberflächenreize ihn auf der Erotikmesse erwarten könnten, hielt sich Sophie die Ohren zu und ergriff die Flucht.
Auf seinen Balkon zurückgekehrt, nahm Sam Platz und schlug das Buch auf, das der Journalist ihm gegeben hatte, ein schmales, zweisprachiges Bändchen, das die Geschichte jenes historischen Bauwerks schilderte, in dem Reboul nun mit Glanz und Gloria Hof hielt.
Die Idee, das Palais du Pharo zu errichten, wurde 1852 geboren, als Louis-Napoléon, le prince-président, der auf dem besten Weg war, Kaiser zu werden, bei den lokalen Honoratioren die Andeutung fallen ließ, eine Residenz mit Meerblick sei ganz nach seinem Geschmack.
Eine Andeutung von Louis-Napoléon, dem Neffen des großen Bonaparte, kam beinahe einem Befehl gleich, und so beeilte sich das brave Volk von Marseille, seinem Wunsch Folge zu leisten.Wir werden dir ein Haus bauen, versprachen sie. Napoléon, der ihre Großherzigkeit ein wenig übertrieben fand (ein Anflug von Selbstbeschränkung, den man bei Herrschern nur selten findet), lehnte das Anerbieten ab. Fügte jedoch hinzu, er werde gerne ein standesgemäßes Grundstück annehmen, auf dem er eine standesgemäße Bleibe errichten könne.
Wie es in der Provence bisweilen geschieht, schleppte sich der Bauvorgang nur langsam und nicht ohne Zwischenfälle dahin. Obwohl die Arbeiten 1856 offiziell begannen, wurde
der Grundstein erst 1858 gelegt, am 15. August – der, welch glücklicher Zufall, der Sankt-Napoléons-Tag war. Das war indes eine der wenigen glücklichen Fügungen. Die zahlreichen Baumeister gerieten sich in die Haare; der Steinmetz, der das Sagen hatte, verstand nichts von seinem Metier; es wurden zu wenige Arbeiter für die einzelnen Gewerke eingestellt, es gab Schwierigkeiten bei der Lieferung der Baumaterialien, und die Fenster fielen den ständigen Stürmen zum Opfer. Die Bautätigkeit zog sich weitere zehn Jahre hin, und als das Jahr 1868 kam und ging, war Napoléons palais immer noch unbewohnbar.
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Zwei Jahre später, nach einigen unüberlegten militärischen Abenteuern, wurde Napoléon III. abgesetzt. Er ging nach England ins Exil, wo er 1873 das Zeitliche segnete. Seine Witwe Eugénie gab Marseille zurück, was man ihr und ihrem Mann geschenkt hatte, sodass die Stadt nun in den Besitz des spektakulärsten weißen »Elefanten« an der Küste gelangte.
In den folgenden 120 Jahren mussten die Stadtväter entdecken, dass der Unterhalt gigantischer Bauwerke, vor allem solcher, die fortwährend der salzhaltigen Meerluft ausgesetzt sind, gigantische Summen verschlingt. Dutzende von Kostensenkungssystemen wurden erprobt und verworfen. Schließlich akzeptierte die Stadt mit beträchtlicher Erleichterung Rebouls Angebot, das Palais du Pharo für seine persönliche Nutzung zu mieten. Der Vertrag wurde 1993, am Sankt-Napoléons-Tag, unterschrieben, und kurz darauf zog Francis Reboul ein.
Eine traurige Geschichte, dachte Sam, als er das Buch schloss. Wenn es schon einem Kaiser nicht gelang, ein Haus in einer Zeitspanne von zehn Jahren zu errichten, welche Hoffnung blieb dann den normalen Sterblichen?
Die frühabendliche Brise, die vom Meer herüberwehte, war kühl geworden, und er ging hinein, um sich für die bevorstehende Besprechung in Schale zu werfen. Er überprüfte seine neue Kamera und steckte ein halbes Dutzend Geschäftskarten in die Tasche des Jacketts. Sie waren lediglich mit Namen und Adresse bedruckt. Sie gaben keinerlei Einzelheiten über den Beruf preis, denn dieser pflegte sich von Auftrag zu Auftrag zu ändern. Er rückte ein letztes Mal seine Krawatte zurecht – ein Hingucker vom Harvard Club -, bevor er sich in die Lobby begab.
Sophie wartete bereits auf ihn, als Sam aus dem Fahrstuhl trat, und unterhielt sich mit einem außerordentlich zuvorkommenden concierge , der ihre Garderobe eindeutig zu schätzen wusste. Es handelte sich dabei um eine typisch französische Version der Geschäftskleidung – ein Rock in genügsamer Kürze mit der
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