Ein diplomatischer Zwischenfall
einige viel beschäftigte Inspektoren des C.I.D. verweisen.«
Horace erklärte glückstrahlend, dass man aus dem Staunen überhaupt nicht mehr herauskomme. Am Teetisch erstatteten sie Raymonds Frau, Joan, ihrer Nichte Lou Oxley und der alten Miss Marple Bericht über die Erlebnisse des Nachmittags, wobei sie alle von Miss Greenshaw gemachten Äußerungen bis ins kleinste Detail wiederholten.
»Aber ich muss sagen«, gestand Horace, »dass das ganze Etablissement einen etwas unheimlichen Eindruck auf mich gemacht hat. Diese fürstliche Kreatur, die Haushälterin – vielleicht etwas Arsen in die Teekanne, jetzt, wo sie weiß, dass ihre Herrin ein Testament zu ihren Gunsten gemacht hat?«
»Nun, verrate es uns mal, Tante Jane«, scherzte Raymond. »Wird es einen Mord geben oder nicht? Was ist deine Ansicht?«
»Meine Ansicht ist«, erwiderte Miss Marple, während sie mit ziemlich strenger Miene ihr Wollknäuel wickelte, »dass du nicht dauernd über solche Dinge spötteln solltest, Raymond. Arsen ist natürlich durchaus möglich. So leicht zu erlangen. Wahrscheinlich schon in Form eines Unkrautvertilgungsmittels im Geräteschuppen vorhanden.«
»Aber liebste Tante«, sagte Joan zärtlich, »würde man nicht etwas zu leicht dahinter kommen?«
»Es ist ja ganz schön, wenn man ein Testament macht«, warf Raymond ein, »aber ich glaube nicht, dass das arme alte Geschöpf irgendetwas zu hinterlassen hat außer dem großen Kasten. Und wer hätte schon für dieses mehr kostspielige als einträgliche Haus Verwendung?«
»Womöglich eine Filmgesellschaft«, meinte Horace. »Vielleicht könnte auch ein Hotel oder ein Heim daraus gemacht werden.«
»Solche Interessenten wollen es für ein Ei und ein Butterbrot haben«, behauptete Raymond.
Doch Miss Marple schüttelte den Kopf.
»Weißt du, lieber Raymond, ich kann deine Ansicht nicht teilen. Hinsichtlich des Geldes, meine ich. Der Großvater war offenbar einer jener Verschwender, die rasch zu Geld kommen, es aber nicht zusammenhalten können. Er hat vielleicht, wie du sagst, kein Geld mehr gehabt, aber er war wohl kaum bankrott. Sonst hätte sein Sohn das Haus nicht halten können. Der Sohn war aber nun, wie es so oft der Fall ist, ganz anders veranlagt als sein Vater. Er war ein Geizhals. Ein Mann, der jeden Pfennig zehnmal umdrehte, ehe er ihn ausgab. Ich möchte wohl annehmen, dass er im Laufe seines Lebens eine ganz beträchtliche Summe beiseitegelegt hat. Diese Miss Greenshaw ist offenbar genauso geartet wie ihr Vater. Auch sie gibt nicht gern etwas aus. Ich halte es daher für sehr wahrscheinlich, dass sie eine ziemliche Summe auf die hohe Kante gelegt hat.«
»Wenn die Sache so liegt«, sagte Joan, »wie wär’s dann mit Lou?«
Sie blickten alle zu Lou hinüber, die schweigsam am Feuer saß. Lou war Joans Nichte. Ihre Ehe war kürzlich, wie sie sich selbst ausdrückte, in die Brüche gegangen, und sie saß daher mit zwei kleinen Kindern und sehr wenig Geld für ihren Unterhalt da.
»Ich meine«, fuhr Joan fort, »wenn diese Miss Greenshaw wirklich jemanden sucht, der sich dieser Tagebücher annimmt und sie zur Veröffentlichung vorbereitet…«
»Keine schlechte Idee«, meinte Raymond.
Lou sagte mit leiser Stimme:
»Das ist eine Arbeit, die ich übernehmen könnte, und ich hätte Spaß daran.«
»Ich werde ihr schreiben«, erbot sich Raymond.
»Ich möchte ganz gern wissen«, äußerte Miss Marple sich nachdenklich, »was die alte Dame wohl mit der Bemerkung von dem Polizisten meinte.«
»Oh, das war sicher nur ein Scherz.«
»Diese Äußerung«, erklärte Miss Marple, während sie nachdrücklich mit dem Kopf nickte, »erinnert mich lebhaft an Mr Naysmith.«
»Und wer war Mr Naysmith?«, erkundigte sich Raymond neugierig.
»Ein Bienenzüchter«, antwortete Miss Marple. »Auch verstand er sich sehr gut auf die Akrostichen in den Sonntagsblättern und hatte großen Spaß daran, seinen Mitmenschen aus Ulk falsche Eindrücke zu hinterlassen. Aber das führte manchmal zu Unannehmlichkeiten.«
Alle schwiegen eine Weile und dachten über Mr Naysmith nach. Da jedoch zwischen ihm und Miss Greenshaw kein Zusammenhang zu bestehen schien, kam man zu dem Schluss, dass die liebe Tante Jane in ihrem Alter vielleicht ein ganz klein wenig faselig wurde.
Horace Bindler kehrte nach London zurück, ohne weitere Monstrositäten gesammelt zu haben, und Raymond West schrieb einen Brief an Miss Greenshaw, in dem er ihr mitteilte, dass er eine Mrs Louisa Oxley kenne,
Weitere Kostenlose Bücher