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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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auf dich zu, Felícito«, sagte sie, drückte seine Hand noch fester und starrte ihn weiter mit ihren tiefen, jetzt fiebrigen Augen an. »Ich weiß nicht, was. Vielleicht was die Polizisten dir heute Morgen gesagt haben, vielleicht etwas anderes. Schlimmer oder besser, ich weiß nicht. Etwas Heftiges, Gewaltiges, eine Erschütterung, die dein ganzes Leben verändern wird.«
    »Willst du damit sagen, anders als alles, was mir jetzt schon passiert? Noch schlimmer, Adelaida? Trage ich nicht schon genug an meinem Kreuz?«
    Ihr Kopf ging wie verrückt hin und her, sie schien ihn nicht zu hören. Und dann schrie sie, entsetzt:
    »Ich weiß nicht, ob besser oder schlimmer, Felícito. Aber größer als alles, was dir bisher passiert ist. Eine Umwälzung in deinem Leben, ich spüre es.«
    »Noch größer? Kannst du mir nichts Genaueres sagen, Adelaida?«
    »Nein, kann ich nicht.« Die Santera ließ seine Hand los und fand allmählich wieder zu ihrem üblichen Äußeren und Wesen. Er sah, wie sie seufzte, sich übers Gesicht strich, als wollte sie ein Insekt verscheuchen. »Ich sage nur, was ich fühle, was mich die Eingebung spüren lässt. Ich weiß, es ist wirr. Für mich auch, Felícito. Was kann ich dafür, Gott hat es so gewollt. Er ist es, der spricht. Mehr kann ich dir nicht sagen. Sei bereit, etwas wird passieren. Und es wird dich überraschen. Hoffentlich wird nicht alles noch schlimmer, Schätzchen.«
    »Noch schlimmer?«, rief Felícito. »Das Schlimmste, was mir jetzt noch passieren kann, wäre zu sterben, überfahren von einem Auto, gebissen von einem tollwütigen Hund. Vielleicht wäre es für mich das Beste, Adelaida. Zu sterben.«
    »Du stirbst nicht, noch nicht, das kann ich dir versichern. Von deinem Tod hat mir meine Eingebung nichts gesagt.«
    Die Santera schien erschöpft zu sein. Sie hockte weiter auf ihren Fersen und rieb sich die Hände, die Arme, ganz leicht, als wollte sie Staub wegwischen. Felícito beschloss zu gehen. Es war schon spät. Am Mittag hatte er keinen Bissen gegessen, aber er war nicht hungrig. Allein der Gedanke, sich zum Essen an den Tisch zu setzen, ekelte ihn. Mit viel Mühe erhob er sich aus dem Schaukelstuhl und zog sein Portemonnaie hervor.
    »Das ist doch nicht nötig«, sagte die Santera vom Boden aus. »Nicht heute, Felícito.«
    »Doch«, sagte er und legte fünfzig Sol auf den Ladentisch. »Nicht für die verworrene Eingebung, sondern weil du mich so liebevoll getröstet und beraten hast. Du bist meine beste Freundin, Adelaida. Ich habe dir immer vertraut, darum.«
    Er ging hinaus, knöpfte sich die Weste zu, rückte die Krawatte zurecht, den Hut. Wieder war ihm heiß. Die Menschenmenge, die sich im Zentrum von Piura durch die Straßen schob, machte ihm zu schaffen. Einige erkannten ihn und grüßten mit einem Nicken, andere tuschelten, deuteten auf ihn oder fotografierten ihn mit ihrem Handy. Er beschloss, bei Transportes Narihualá vorbeizugehen. Falls es Neuigkeiten gab. Er schaute auf die Uhr: schon fünf. Die Pressekonferenz auf dem Revier war um sechs. Noch ein Stündchen, bis die Meldung sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Und dann würde sie explodieren, im Radio, im Internet, über die Blogs, die Online-Ausgaben der Zeitungen, die Nachrichtensendungen. Wieder wäre er der bekannteste Mann von Piura. »Betrogen von seinem Sohn und seiner Geliebten«, »Beide wollten ihn erpressen: Sohn und Geliebte«, »Die Spinnen waren sein Sohn und sein Liebchen, dienoch dazu ein Verhältnis hatten!« Ihm wurde übel, wenn er sich die Schlagzeilen ausmalte, die Karikaturen, die ihn in den lächerlichsten Posen zeigten, mit Hörnern bis durch die Wolken. Was für Kanaillen! Undankbares Gesocks! Das mit Miguel erboste ihn weniger, denn dank der Erpressung sah er seinen Verdacht bestätigt: Er war nicht sein Sohn. Wer wohl sein richtiger Vater war? Ob Gertrudis es wusste? Damals, in der Pension, legte sie doch jeder flach, für die Vaterschaft gab es viele Kandidaten. Sollte er sich von ihr trennen? Scheiden lassen? Geliebt hatte er sie nie, aber jetzt, nach so langer Zeit, konnte er ihr nicht einmal böse sein. Sie war keine schlechte Frau, in all den Jahren hatte sie sich untadelig verhalten, ausschließlich für die Familie und ihren Glauben gelebt. Die Nachricht würde auch sie erschüttern, ganz sicher. Ein Foto von Miguel in Handschellen, hinter Gittern, weil er seinen Vater erpressen wollte, ein Sohn, der den Vater mit dessen Geliebter betrog, das war nichts, was eine Mutter

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