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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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einfach so wegsteckte. Sie würde heulend in die Kathedrale laufen, damit die Priester sie trösteten.
    Das mit Mabel war heftiger. Er dachte an sie, und in seinem Bauch tat sich eine Leere auf. Sie war die einzige Frau, die er in seinem Leben wirklich geliebt hatte. Er hatte ihr alles gegeben. Haus, Geld, Geschenke. Eine Freiheit, die kein anderer Mann einer ausgehaltenen Frau gewährt hätte. Und dann ging sie mit seinem Sohn ins Bett! Erpresste ihn, im Bunde mit diesem Schuft! Er würde sie nicht töten, nein, ihr nicht einmal eine in ihre verlogene Visage knallen. Er würde sie nicht wiedersehen. Sollte sie sich ihr Leben als Nutte verdienen. Mal sehen, ob sie sich einen Geliebten angelte, der so rücksichtsvoll war wie er.
    Statt die Calle Lima hinunterzugehen, bog er auf Höhe der Hängebrücke ab in Richtung Malecón Eguiguren. Dort waren weniger Menschen, und er konnte unbehelligter laufen, ohne die ständige Angst, dass man ihn anschaute oder auf ihn zeigte. Er musste an die alten Häuser denken, die in seiner Kindheit hier gestanden hatten. Eins nach dem anderen waren sie zusammengestürzt bei den Verheerungen, die El Niño anrichtete, der Regen und das Hochwasser, als der Fluss über die Ufer trat und das Viertel überschwemmte. Statt sie wieder aufzubauen, hatten die Weißen sich neue Häuser gebaut, in El Chipe, außerhalb der Innenstadt.
    Was sollte er jetzt tun? Mit seiner Arbeit weitermachen, als wäre nichts geschehen? Armer Tiburcio. Nicht auszudenken, wie ihm das auf den Magen schlug. Sein Bruder Miguel, an dem er immer so gehangen hatte, auf einmal ein Krimineller, der den Vater zusammen mit der Geliebten ausnehmen wollte. Tiburcio war ein feiner Kerl. Vielleicht nicht sehr intelligent, aber korrekt, pflichtbewusst, nie hätte er eine solche Schandtat begangen. Sobald er davon erfuhr, wäre er am Boden zerstört.
    Der Pegel des Río Piura war recht hoch, der Fluss riss Äste mit sich, kleine Sträucher, Papier, Flaschen, Plastik. Das Wasser war schlammbraun, als hätte es in den Bergen einen Erdrutsch gegeben. Niemand badete.
    Als er vom Malecón auf die Avenida Sánchez Cerro einbog, beschloss er, nicht ins Büro zu gehen. Es war nur noch eine Viertelstunde bis sechs Uhr, und die Journalisten würden, kaum dass sie die Neuigkeit erfuhren, wie ein Schwarm Fliegen über Transportes Narihualá herfallen. Es wäre besser, sich zu Hause einzuschließen und erst wieder vor die Tür zu treten, wenn der Sturm abgeflaut war. Bei dem Gedanken an den Skandal krochen ihm kleine Schlangen über den Rücken.
    Als er die Calle Arequipa hinaufging, spürte er erneut einen solchen Druck auf der Brust, dass ihm das Atmen schwer wurde. Miguel konnte ihn also nicht ausstehen, hatte ihn schon immer gehasst, schon bevor er ihn zum Militärdienst zwang. Das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit. Nein, stimmte nicht, gehasst hatte er diesen unehelichen Sohn nie. Er hatte ihn nur nie geliebt, weil er ahnte, dass er nicht sein Blut hatte. Aber er konnte sich nicht erinnern, Tiburcio vorgezogen zu haben. Er war ein gerechter Vater gewesen, darauf bedacht, beide gleich zu behandeln. Schon wahr, er hatte Miguel für ein Jahr in die Kaserne geschickt. Aber das war zu seinem Wohl. Damit manihn auf den richtigen Weg brachte. Er war ein lausiger Schüler gewesen, wollte nur seinen Spaß, Fußball spielen und einen saufen. Er hatte ihn mit seinen Kumpanen in Chichakneipen und den übelsten Spelunken erwischt und wie er sein Taschengeld im Bordell ausgab. »Wenn du so weitermachst, stecke ich dich in die Armee«, hatte er ihn gewarnt. Und so kam es dann. Felícito musste lachen. Na ja, geholfen hatte es nicht viel, sonst hätte er nicht getan, was er am Ende tat. Sonst wäre er nicht ins Gefängnis gekommen, würde nicht erfahren, was das war. Kaum jemand würde ihm danach Arbeit geben, bei der Vorstrafe. Er käme schlimmer heraus, als er hineingegangen war, wie alle hinter Gittern, die durch diese Schule des Verbrechens gingen.
    Er stand vor seinem Haus. Bevor er die große, mit Nägeln beschlagene Tür öffnete, ging er noch an die Straßenecke und warf ein paar Münzen in das Schälchen des Blinden:
    »Guten Tag, Lucindo.«
    »Guten Tag, Don Felícito. Vergelt’s Gott.«
    Auf dem Rückweg zog sich ihm die Brust zusammen, dass er kaum Luft bekam. Er öffnete die Tür und schloss sie hinter sich. Von der Diele aus hörte er Stimmen. Das fehlte gerade noch. Besuch! Seltsam, Gertrudis hatte keine Freundinnen, die sie unangemeldet

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