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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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auf die Wange. Als sie dann im Wohnzimmer saßen, kam Justiniana und fragte, was sie ihnen anbieten könne. Miki bat um einen Kaffee mit ein wenig Milch und Schlaks um ein Glas Mineralwasser mit Kohlensäure. Es war ein recht grauer Tag, niedrige Wolken zogen über das dunkelgrüne, von der Gischt aufgelockerte Meer in der Bucht von Lima. Weiter draußen waren ein paar Fischerboote zu erkennen. Die Söhne von Ismael Carreras trugen dunkle Anzüge mit Krawatte und Einstecktüchlein und protzige Rolex-Uhren. Als Rigoberto hereinkam, standen sie auf: »Hallo, Onkel.« Blöde Angewohnheit, dachte der Hausherr. Er wusste nicht, warum, aber ihn regte diese unter den jungen Leuten von Lima seit einigen Jahren so verbreitete Mode auf, alle Bekannten der Familie und die älteren Personen Onkel oder Tante zu nennen, womit sie sich eine Verwandtschaft zulegten, die es nicht gab. Miki und Schlaks gaben ihm die Hand, lächelten, zeigten – »Wie gut du aussiehst, Onkel Rigoberto«, »Der Ruhestand bekommt dir gut, Onkel«, »Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, bist du um Jahre jünger geworden« – eine Herzlichkeit, die allzu übertrieben war, als dass sie aufrichtig sein konnte.
    »Eine schöne Aussicht hast du hier«, sagte schließlich Miki und zeigte auf den Malecón und das Meer von Barranco. »Wenn es wolkenlos ist, kannst du bestimmt von La Punta bis Chorrillos die ganze Küste sehen, nicht wahr, Onkel?«
    »Und genauso sehe ich die ganzen Gleitschirm- und Deltaflieger, die mit ihren Nasen direkt an unseren Fenstern vorbeisegeln«, sagte Rigoberto. »Irgendwann schickt uns einWindstoß noch mal einen dieser unerschrockenen Flieger in die Wohnung.«
    Seine »Neffen« feierten den Scherz mit einem allzu lauten Lachen. Die sind ja noch nervöser als ich, wunderte sich Rigoberto.
    Sie waren Zwillinge, ähnelten sich aber in nichts, außer in ihrer Körpergröße, ihrer athletischen Figur und ihren schlechten Angewohnheiten. Ob sie wohl viele Stunden im Fitnessraum des Club de Villa oder des Regatas an den Geräten verbrachten und Gewichte stemmten? Wie passten diese Muskeln mit dem Bohemeleben zusammen, dem Kokain, den Fressorgien und Saufgelagen? Miki hatte ein rundes und zufriedenes Gesicht, volle Lippen, Raubtierzähne und Segelohren. Er war sehr hellhäutig, fast ein Gringo, mit hellen Haaren, und hin und wieder lächelte er mechanisch, wie eine Gliederpuppe. Schlaks dagegen war sehr dunkel, hatte durchdringende dunkle Augen, einen Mund fast ohne Lippen und ein dünnes und schrilles Stimmchen. Er trug lange Koteletten wie ein Flamencosänger oder ein Torero. Wer wohl der Dümmere von beiden ist, dachte Rigoberto. Und der Schlimmere.
    »Vermisst du nicht dein Büro, jetzt, wo du die ganze Zeit frei hast, Onkel?«, fragte Miki.
    »Ehrlich gesagt, nein, mein Neffe. Ich lese viel, höre gute Musik, verbringe Stunden über meinen Kunstbüchern. Die Malerei hat mir immer schon mehr gefallen als Versicherungen, das hat dir Ismael sicher erzählt. Jetzt endlich habe ich die Zeit, mich ihr zu widmen.«
    »Was für eine Bibliothek du da hast, Onkel«, rief Schlaks und zeigte auf die wohlsortierten Regale im Arbeitszimmer. »So viele Bücher, Wahnsinn! Hast du die alle gelesen?«
    »Na ja, alle nicht, noch nicht.« Der ist der Dümmere, entschied er. »Manche sind nur Nachschlagewerke, wie die Wörterbücher und Enzyklopädien auf dem Regal dort in der Ecke. Aber ich möchte behaupten, dass die Wahrscheinlichkeit größer ist, ein Buch zu lesen, wenn man es zu Hause hat.«
    Die beiden Brüder sahen es sich fassungslos an, ohne Zweifel fragten sie sich, ob er einen Witz machte oder es ernst meinte.
    »So viele Kunstbücher, das ist, als hättest du alle Museen der Welt zu dir hergeholt«, urteilte Miki mit der Miene eines klugen Mannes, der sich auskennt. Und schloss: »Da kannst du sie besichtigen, ohne dass du dir die Mühe machen musst, deine Wohnung zu verlassen, echt bequem.«
    So blöd wie dieser Zweibeiner, das ist schon Intelligenz, sagte sich Rigoberto. Es war unmöglich zu sagen, wer der Dümmere war – Gleichstand. Eine schwere Stille erfüllte nun den Raum, und um die Anspannung zu überspielen, schauten alle drei zum Arbeitszimmer. Jetzt ist es so weit, dachte Rigoberto, und er erschrak ein wenig. Aber er war neugierig und wollte wissen, was passierte. Er fühlte sich auf absurde Weise beschützt auf seinem eigenen Terrain, umgeben von seinen Büchern und Bildern.
    »Also, Onkel«, sagte Miki und blinzelte sehr

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