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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Leere schaute, bewegt allein von einem Flimmern in seinen wässrigen Äugelchen. Gleich bekommt der einen Herzanfall und streckt alle viere von sich, fürchtete Lituma. Sein Chef rauchte jetzt doppelt so viel wie sonst, behielt den Zigarettenstummel zwischen den Lippenund kaute darauf herum, was er nur unter höchster Anspannung tat.
    »Was sollen wir tun, wenn die Señora Mabel nicht wieder auftaucht, Hauptmann. Glauben Sie mir, die Sache raubt mir jede Nacht den Schlaf.«
    »Uns umbringen, Lituma«, versuchte der Kommissar zu scherzen. »Wir spielen russisches Roulette, und so gehen wir als unerschrockene Männer von dieser Welt, so wie dieser Seminario bei deiner Wette. Aber sie wird schon wieder auftauchen, sei nicht so pessimistisch. Durch die Anzeige in El Tiempo wissen sie, oder glauben es zumindest, dass sie Yanaqué endlich gebrochen haben. Jetzt lassen sie ihn noch ein wenig schmoren, um ihrem Werk das Krönchen aufzusetzen. Aber etwas anderes treibt mich um, Lituma. Weißt du, was? Dass Don Felícito den Kopf verliert und auf die Idee kommt, noch so eine Anzeige aufzugeben, in der er dann alles zurücknimmt und unseren Plan verdirbt.«
    Es war nicht leicht gewesen, ihn zu überzeugen. Den Hauptmann hatte es mehrere Stunden gekostet, und er führte alle Argumente der Welt an, damit er die Anzeige noch am selben Tag in El Tiempo aufgab. Zuerst sprach er mit ihm auf dem Revier und dann im Grauchen, einer kleinen Kneipe, wo er und Lituma ihn fast hinschleifen mussten. Sie sahen, wie er ein Halbdutzend Algarrobina-Cocktails in sich hineinschüttete, obwohl er, wie er mehrmals betonte, nicht trinke. Alkohol schädige seinen Magen, führe zu Sodbrennen und Durchfall. Aber jetzt sei es anders. Er habe einen schrecklichen Verlust erlitten, den schmerzhaftesten seines Lebens, und der Alkohol werde ihn davon abhalten, wieder im heulenden Elend zu versinken.
    »Glauben Sie mir, Don Felícito«, der Kommissar gab sich geduldig, »ich bitte Sie ja nicht, sich der Mafia zu ergeben, verstehen Sie doch. Ich käme nie auf die Idee, Ihnen zu raten, das Schutzgeld zu zahlen.«
    »Das würde ich auch nie«, sagte Felícito noch einmal, zitternd und kategorisch. »Und wenn sie Mabel töten und ichmich umbringen müsste, um nicht mit den Gewissensbissen zu leben.«
    »Ich bitte Sie nur, dass Sie so tun, mehr nicht«, fuhr der Hauptmann fort. »Machen Sie ihnen weis, dass Sie auf die Bedingungen eingehen. Es kostet Sie keinen Centavo, das schwöre ich Ihnen, bei meiner Mutter. Und bei Josefita, diesem Engel. Wenn sie erst das Mädchen freilassen, kommen wir ihnen auf die Spur. Ich weiß, was ich sage, glauben Sie mir. Es ist mein Beruf, und ich weiß genau, wie diese Scheißkerle sich verhalten werden. Seien Sie nicht so stur, Don Felícito.«
    »Ich tue das nicht aus Sturheit, Hauptmann.« Felícito hatte sich wieder etwas gefasst und bot nun ein tragikomisches Bild, eine Haarsträhne war ihm über die Stirn gerutscht und hing über dem rechten Ohr, was er selbst nicht zu bemerken schien. »Ich habe Mabel unheimlich gern, ich liebe sie. Es zerreißt mir das Herz, dass jemand wie sie, die mit der Sache nichts zu tun hat, der Habgier und Schlechtigkeit dieser Verbrecher zum Opfer fällt. Aber ich kann nicht auf die Forderung eingehen. Nicht meinetwegen, verstehen Sie doch, Hauptmann. Ich muss das Andenken meines Vaters in Ehren halten.«
    Er saß stumm da, betrachtete sein leeres Algarrobina-Glas, und Lituma dachte, gleich würde er wieder anfangen zu heulen. Aber dem war nicht so, denn mit gesenktem Kopf, ohne sie anzuschauen, als spräche er nicht zu ihnen, sondern mit sich selbst, begann das kleine, in sein Jackett mit aschgrauer Weste gezwängte Männlein, sich an seinen Vater zu erinnern. Ein paar blaue Fliegen surrten um ihre Köpfe, in der Ferne stritten sich zwei Männer lautstark wegen eines Verkehrsunfalls. Felícito sprach bedächtig, suchte nach den Worten, um das, was er erzählte, mit dem angemessenen Nachdruck zu versehen, und immer wieder ließ er sich von seinen Gefühlen überwältigen. Lituma und Hauptmann Silva begriffen bald, dass der Yanacón Aliño Yanaqué, von der Hazienda Yapatera bei Chulucanas, die Person war, die Felícito in seinem Leben geliebt hatte wie sonst keinen. Und nicht nur, weil dessen Blut durch seine Adern floss. Sondern weil er es dank seinem Vater vermochthatte, die Armut hinter sich zu lassen, besser gesagt, das Elend, in das er hineingeboren wurde und in dem er seine Kindheit

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