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Ein Drama in Livland

Ein Drama in Livland

Titel: Ein Drama in Livland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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keinen Laut vernehmen.
    »Könntest du wohl bis Pernau zu Fuße gehen? fragte Broks den Bankangestellten.
    – Was… fünfzehn Werst weit und noch mehr, entgegnete dieser, und das obendrein mit meiner Verletzung…
    – Nun, dann reitest du vielleicht…
    – Reiten!… Nach zweihundert Schritten wär’ ich schon vom Pferde gefallen!«
    Unter solchen Umständen blieb freilich nichts anderes übrig, als in einer Schenke der Umgebung Schutz zu suchen, wo wenigstens Poch und sein Reisegefährte die Nacht über bleiben könnten. Broks und der Postillon wollten, nachdem sie die Pferde abgeschirrt hatten, diese besteigen und so schnell wie möglich nach Pernau reiten, von wo sie am nächsten Morgen zurückzukehren und einen Stellmacher mitzubringen versprachen, der den Postwagen wieder in Ordnung bringen sollte.
    Hätte der Bote der Bank nicht eine so große Summe bei sich getragen, so würde ihm der Vorschlag, hier in der Wildnis zu übernachten, ganz annehmbar erschienen sein… doch mit seinen fünfzehntausend Rubeln…
    Gab es denn in der Nähe, hier in dieser weltverlassenen Gegend, ein Landgut, eine Herberge oder ein Wirtshaus, wo die Reisenden bis zum Morgen Unterkunft finden könnten? Das war die erste Frage, die über Pochs Lippen kam.
    »Jawohl… dort… gewiß!« antwortete der Reisende.
    Dabei wies er mit der Hand nach einem schwachen Lichtschein, der etwa zweihundert Schritt weit links an der Ecke eines Gehölzes durch das Dunkel schimmerte. War das aber die Laterne einer Herberge oder vielleicht nur das Feuer eines Holzfällers?
    Der darüber befragte Jemschik bestätigte die Aussage des Unbekannten.
    »Dort liegt die Kroffsche Waldschenke, sagte er.
    – Die Kroffsche Schenke? wiederholte Poch.
    – Ja, der Kabak ‘Zum umgebrochenen Kreuz’.
    – Nun, begann Broks, sich an seine Begleiter wendend, wenn Sie in jener Schenke übernachten wollen, so werden wir Sie dort morgen frühzeitig wieder abholen.«
    Der zweite Reisende schien den Vorschlag annehmbar zu finden. Was hätte man auch besseres tun können? Das Wetter wurde immer abscheulicher, bald mußte es in Strömen zu regnen anfangen. Der Schaffner und der Jemschik konnten jedenfalls nur mit großer Anstrengung Pernau erreichen.
    »Also abgemacht, sagte Poch, dessen Hautabschürfung am Beine ihm nicht wenig Schmerz verursachte. Nach einer guten Nachtruhe werde ich morgen imstande sein weiterzufahren, und ich rechne auf dich, Broks…
    – Ich bin zur bestimmten Stunde hier zurück!« versicherte der Schaffner.
    Die Pferde wurden jetzt ausgespannt; den auf der Seite liegenden Wagen mußte man wohl oder übel seinem Schicksale überlassen. Im Laufe dieser Nacht kam voraussichtlich doch kein Wagen oder Karren an der Unfallsstelle vorüber.
    Nach einem Händedruck mit seinem Freunde Poch wendete er sich, das eine Bein etwas nachschleppend, nach dem Walde und in der Richtung hin, wo der Lichtschein ihnen die Lage der Schenke andeutete.
    Da der Bankbeamte nur langsam vorwärts kam, glaubte der Reisende ihm seinen Arm als Stütze anbieten zu sollen. Nach einigen Dankesworten nahm Poch das an, etwas verwundert, daß sein Reisegefährte sich jetzt gefälliger erwies, als er es seit der Abfahrt aus Riga vermutet hätte.
    Der Straße folgend, an deren Seite die Schenke lag, wurden die zweihundert Schritte bis zu dieser ohne Unfall zurückgelegt.
    Über der Eingangstür hing hier die Laterne mit einer Petroleumlampe darin. Von der Ecke der Hauswand ragte eine lange Stange heraus, offenbar bestimmt, während des Tages die Aufmerksamkeit der Vorüberkommenden zu erregen. Durch Spalten in den Fensterläden schimmerte von innen das Licht und ließ sich auch das Geräusch von Stimmen und Gläsern hören. Ein Schild mit grober Malerei hing über der Haupttür, und beim Schein der Laterne konnte man darauf die Worte lesen: »Kabak zum umgebrochenen Kreuze«.

Fünftes Kapitel.
Der Kabak »Zum umgebrochenen Kreuze«.
    Die Schenke »Zum umgebrochenen Kreuze« rechtfertigte diese Bezeichnung durch eine braunrote Zeichnung an einer der Giebelwände des Hauses: durch das Bild eines russischen Doppelkreuzes, das am Fuße umgebrochen war und auf der Erde lag… jedenfalls eine Legende, die mit irgend einer kirchen-schänderischen Untat aus längstvergangener Zeit in Verbindung stand.
    Ein gewisser Kroff, ein Slawe von Geburt und Witwer im Alter von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, bewirtschaftete die einsam an der Landstraße von Riga und am Rande eines Waldes gelegene

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