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Ein dunkler Gesang

Ein dunkler Gesang

Titel: Ein dunkler Gesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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stellte sich Tim vor, der sich wie ein Kobold in eine Ausbuchtung des Baumstamms kauerte.
    Der Unterschied bestand darin, dass Elgar ein Naturtalent war. Er hatte keine auf Lebensgröße aufgeblasenen Fotos nötig und auch keine drei Chöre, die Schlag Mitternacht
Preis dem Höchsten
sangen oder welchen magischen Plan sie sich auch immer ausgedacht hatten.
    Das war falsch. Lol kroch auf allen vieren weiter und griff mitten zwischen ein paar Brennnesselpflanzen.
    Als er die Hand zurückzog, krampfte sie sich um das Handy.
    Es war immer noch angeschaltet. Lol stolperte in die Scheune, ging hinter dem Heu in die Hocke und hörte drei Nachrichten ab. Die letzte endete mit
«… Winnie ist ermordet worden. Ich liebe dich»
.
    Er wollte sie gerade zurückrufen, als er eine Stimme hörte.
    Lol schob sich aus der Scheune heraus. Er sah Tim, der zwischen den Baumwurzeln saß, die wie Schlangen um ihn herumzukriechen schienen. Auf den Knien hatte er die aufgeschlagene Partitur von
Mr. Phoebus und die Weiße Eiche
liegen.
    Der Mann, der neben ihm saß, reichte ihm einen Flachmann, und Tim trank.

60 In die Grube
    Merrily beobachtete, wie Preston Devereaux den Flachmann wieder zuschraubte und in eine Tasche seiner grünen Arbeitsmontur schob.
    Dann schaute sie zu Lol hinüber. Am liebsten hätte sie ihn mit telepathischen Fähigkeiten dazu gebracht, sich weder zu rühren, noch ein Wort zu sagen.
    Preston Devereaux richtete sich zwischen den Wurzeln der heiligen Eiche langsam wieder auf. Tim Loste blieb dicht an den Baum gedrängt sitzen.
    Niemand sprach. Syd beobachtete Devereaux.
    Merrily fiel auf, dass keiner von ihnen tatsächlich sicher sein konnte, warum die jeweils anderen da waren und wie viel sie wussten.
    Also konnte sie auch aktiv werden.
    Sie ging zu dem Baum hinüber und streckte die Hand aus.
    «Mr. Loste? Ich bin Merrily. Ich versuche schon seit Tagen, mit Ihnen zu sprechen.»
    Tim Loste stand auf. Seine Hand fühlte sich an wie Weichkäse.
    Merrily warf Lol, der ebenfalls zu der Eiche gekommen war, einen Blick und ein halbes Lächeln zu und drehte sich dann wieder zu Tim Loste um.
    Er war über und über mit Winnies Blut beschmiert. Sie fragte sich, ob er das überhaupt bemerkt hatte. Ohne Syd hätte er wohl kaum eine Chance, aus dieser Sache herauszukommen. Annie Howe hätte beim Morgengrauen die Anklageerhebung fertig und eine Presseerklärung herausgegeben.
    Merrily fragte sich, wie lange die Wirkung des Rohypnols anhielt.
    Fragte sich, was Preston Devereaux in seinem Flachmann hatte.
    Wie viel hatte Tim davon getrunken?
    «Es tut mir leid, dass wir uns erst hier kennenlernen, Mr. Loste, aber wir haben gehört, dass Sie nach Whiteleaved Oak kommen, und Syd war so freundlich, mir den Weg zu zeigen.» Sie sah zu Devereaux auf. «Wir haben natürlich nicht erwartet …»
    «Ich gehe gern spazieren», sagte Devereaux langsam, «wenn die Touristen in ihren Quartieren sind. Solche Nächte wie heute, in denen man meilenweit sehen kann, sind sehr selten.»
    Merrily sah Lol an. «Entschuldigung, wer sind Sie?»
    «Ich bin Dan», sagte Lol. «Ich singe in Tims Chor.»
    Merrily nickte und versuchte, Devereaux noch mehr Sand in die Augen zu streuen. «Wir dachten, Winnie wäre vielleicht hier. Wir sind ihr unterwegs nicht begegnet.»
    «Wir haben sie nicht gesehen», sagte Lol.
    «Ganz allein, Preston?» Syd stellte sich mit dem Rücken zum Baum. «Ich dachte, ich hätte einen Ihrer Jungs gesehen. Dachte, es war Louis.»
    Das hatte er nicht, oder doch?
    «Ja, ich bin heute Nacht allein unterwegs, Syd. Ist schön, mal rauszukommen.»
    Merrilys Anspannung verstärkte sich, als sie näher zu Lol ging.
    «Tja», sagte Devereaux, «wenn Sie den ganzen Weg hierhergekommen sind, um mit Tim zu sprechen, Merrily, dann gehe ich jetzt lieber. Gute Nacht allerseits.»
    Er ging davon. Merrily flüsterte Lol zu: «Hast du meine Nachricht bekommen?»
    «Gerade eben.»
    «Weiß Loste über Winnie Bescheid?»
    «Nein.»
    «Ja, gute Nacht, Preston», rief Syd. «Und Vorsicht am Gullet.»
    Preston Devereaux ging noch einige Schritte, dann blieb er stehen, zuckte mit den Schultern und kehrte um.
     
    Zu viert saßen sie um die Opfergrube wie bei einem surrealen Mitternachtspicknick. Tim Loste hatte sich nicht von der Eiche wegbewegt.
    Vorsicht am Gullet.
    Syd hatte eine Auseinandersetzung gewollt. Vielleicht als Ausgleich für all die Wochen ohne seine Familie. Merrily war wütend, und sie hatte Angst. Sollte das ein Beispiel für die

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