Ein echter Schatz
kleine Schlafzimmer und ein altmodisches Badezimmer. Morelli hat das Haus von seiner Tante geerbt und es sich Stück für Stück angeeignet.
Ich schloss die Haustür auf und trat in den kleinen Flur, der auch als Garderobe dient und von dem aus die Treppe nach oben führt. Ich hatte gedacht, das Haus wäre still und leer, aber im Wohnzimmer lief der Fernseher. Zuerst war ich nur verwirrt, dann ergriff mich Verlegenheit. Wohnte hier etwa noch jemand? Vielleicht ein Verwandter von Morelli oder ein Kollege mit Liebeskummer. Und dann platzte ich unangemeldet herein!
Gerade wollte ich mich heimlich aus dem Staub machen, als Dickie Orr aus der Küche kam. Er aß ein Eis aus einem Becher, seine Haare sahen grauenvoll aus, als hätte er sich eben erst von seinem Nachtlager erhoben, und er trug nur Unterwäsche, weißes Unterhemd, auf dem ein Schokoeisfleck seine Spur zog, und überweite, gestreifte Boxershorts. Die Zeit blieb stehen. Die Erde hörte auf, sich zu drehen. Mein Herzschlag setzte aus.
»Wa…«, sagte ich. Und noch mal: »Wa…« Zu mehr war ich nicht fähig. Dickie verdrehte die Augen und steckte den Löffel in den Eisbecher.
»Joe!«, rief er. »Du hast Besuch!«
Ich hörte Morellis Turnschuhschritte auf der Treppe, dann stand er vor mir.
»Oh, Scheiße«, sagte er, als er mich sah.
Ich winkte ihm mit dem kleinen Finger. »Hi.«
Irgendwie kam ich mir deplatziert vor. Es war mir peinlich, dass ich hier hereingeschneit war, und ich war stinkig, dass er diese Sache vor mir verheimlicht hatte.
»Ich kann dir alles erklären«, sagte Morelli.
»Von wegen!«
»Na dann viel Glück«, sagte Dickie. »Die Frau lässt sich auf keine Erklärungen ein. Ein Fehltritt, und man hat ausgeschissen. Sayonara.«
»Klappe, Dickiedödel!«, sagte ich. »Außerdem, es war nicht nur ein Fehltritt. In der Viertelstunde, die wir verheiratet waren, hast du halb Trenton durchgevögelt.«
»Ich habe eine starke Libido«, sagte er zu Morelli.
»Mit deiner Libido hatte das nichts zu tun. Du bist einfach nur ein notorischer Lügner, ein Würstchen.«
»Du leidest unter Kontrollzwang«, sagte Dickie. »Männer taugen nicht für die Monogamie, und damit kannst du nicht umgehen.«
Ich funkelte Morelli böse an. »Los, knall ihm eine!«
»Kann ich nicht«, sagte Morelli. »Er ist bei mir in Schutzhaft.«
»Glaubst du doch selbst nicht«, sagte ich.
»Mir blieb keine andere Wahl«, verteidigte sich Morelli. »Wir mussten ihn irgendwo verstecken, und ich wohne allein. So ist er mir in den Schoß gefallen.«
»Du hättest es mir wenigstens sagen können!«
»Konnte ich nicht. Du hättest dich anders verhalten.«
»Ich habe gedacht, ich müsste wegen Mordes ins Gefängnis!«
»Ich habe dir doch gesagt, du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen«, sagte Morelli.
»Woher sollte ich wissen, dass das ernst gemeint war? Das sagt man so daher.«
»Was ist mit mir?«, fragte Morelli. »Hast du kein Mitleid mit mir? Ich bin mit diesem Idioten in meinem eigenen Haus eingesperrt.«
»Mann, eye, das ist ganz schön verletzend«, sagte Dickie. »Ich dachte, wir wären Verbündete.«
»Die Schießerei in deinem Haus, an dem Abend, als du verschwunden bist? Was ist damit?«, fragte ich Dickie. »Das viele Blut auf dem Fußboden.«
Morelli, die Hände in den Hosentaschen vergraben, schaukelte auf den Fersen. »Dickie hat dem Kerl ins Knie geschossen. Und dann ist er durch den Hintereingang geflüchtet. So war es doch, Dickie, nicht?«
»Ich bin wie ein Irrer gerannt.«
»Und warum diese Schutzhaft?«
»Die Polizei will ihn auf Eis legen, während sie die Mandantenliste abarbeitet. Anfangs wollten wir ihn gegen seine Kompagnons aussagen lassen, aber die sind dann ja alle auf die eine oder andere Weise abgetaucht. Einer ist erwiesenermaßen tot, ein zweiter ist vermutlich tot, und der dritte ist wie vom Erdboden verschluckt, seit Dickie vermisst wurde.«
»Habt ihr Petiak noch nicht gefunden?«
»Einfach verschwunden, der Mann. Wir wissen, dass er noch lebt, weil gelegentlich einer seiner Schlägertrupps in Erscheinung tritt.«
»Ich bin also aus dem Schneider.«
»Genau«, sagte Morelli.
»Und was ist mit Gorvich? Ich dachte, in dem Fall hätte man mich auch unter Verdacht.«
»Ich wollte nur, dass du dir ein Alibi zurechtlegst, falls die Presse dir auf die Pelle rückt.« Er bemerkte meine RangeMan-Jacke. »Wieso läufst du immer noch in RangeMan-Klamotten rum? Du warst schon heute Morgen von oben bis unten ein
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