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Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Titel: Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Grytten
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verkehrsgefährdende Situation ausgelöst hat. Er versucht, seine verlorene Autorität wiederzugewinnen, indem er alle Autos weiterwinkt.
    Ich blinke nach links und fahre an dem Polizisten vorbei. Er sieht mich genervt an. Ich winke mit der rechten Hand und lächle. Dann sind wir zurück auf der Straße, und ich bin bestens gelaunt. Der Polizist wirkte unerschütterlich, wie er dort stand, über alle Schneeflocken und die Februarkälte erhaben. Hier gab es einen stolzen Vertreter der öffentlichen Hand, einen, der die inneren Feinde der Nation aufspürt und sie für ihre Missetaten zur Rechenschaft zieht. Mit dem Leuchtstab war er ein Zauberer, er dirigierte die Welt mit autoritärer Geste. Dann wurde er jäh auf ein Tier reduziert, das auf allen vieren kroch, die Autorität ging für zehn oder zwölf schreckliche Sekunden verloren. Ihn in diesem Licht zu sehen, was für ein Witz, was für eine köstliche Szene. Ich wende mich an meinen Sohn. Wie wenn man eine Frau ohne Vagina sieht, sage ich. Jan sagt nichts. Mein armer Vater, denkt er bestimmt, der arme Junge. Es muss dieser Vorfall sein oder das gute Essen, was mich sentimental macht, denn ich fange an, darüber nachzudenken, ob ich jemals zu Jan gesagt habe, dass ich ihn liebhabe. Ich glaube nicht. Noch nie habe ich zu meinem eigenen Sohn etwas so Einfaches gesagt wie: Ich hab dich lieb . Noch schlimmer ist, dass ich es vermutlich auch niemals sagen werde. Ich habe in der Zeitung von der mangelnden Fähigkeit von Vätern gelesen, diese Art der Liebeserklärung von sich zu geben. Erst wenn das Leben auf die äußerste Spitze getrieben wird, schaffen es Väter, so etwas zu sagen. Eigentlich will ich ja sagen, dass ich von ihm enttäuscht bin. Ich bin wirklich enttäuscht von dir, Jan. Weder Arvid noch er musste so werden wie ich, das war es nicht. Ich nahm sie von klein auf mit in den Laden, hatte sie immer dabei, teilte mein Leben mit ihnen, und dann kehrten sie mir den Rücken zu. Ich war davon ausgegangen, dass sie eine Verlängerung meiner selbst wären. Ich habe den Laden von meinem Vater übernommen, sie sollten ihn von mir übernehmen. Es sollte in Åsane stets einen Möbel-Lunde geben. Sie haben mich enttäuscht. Ich bin so fürchterlich enttäuscht von dir, würde ich am liebsten sagen, du hast mich zutiefst enttäuscht, aber das kann ich natürlich nicht sagen.
    Ich parke vor dem Haus in Bekkestua, wir gehen hinein, und ich denke, dass ich von ihm enttäuscht bin, ich bin von seiner Berufswahl enttäuscht, bin von seinem Haus enttäuscht, von seinen Möbeln, von dem vulgären Ledersofa, das sich mitten im Wohnzimmer erhebt. Das Sofa ist ein aufgedunsenes Weibsbild ohne Ehrgefühl, und ohne ein weiteres Wort zwingt mich mein eigener Sohn auf den Schoß dieser Hure. Sehr bequem, nicht wahr?, sagt er und bringt mir ein Glas Wein. Ja, fast kommen mir die Tränen, antworte ich. Hast du Lust, die Olympischen Spiele zu sehen?, fragt Jan. Er steht mitten im Wohnzimmer und fummelt an einer Fernbedienung herum. Es ist ganz offensichtlich, dass er selbst die Olympischen Spiele sehen will, ich will sie nicht sehen, aber er hat keine Lust, mit seinem eigenen Vater das Gespräch am Laufen zu halten. Das ist der Punkt. Lieber nicht, sage ich. Das ganze Leben ist zu einer Sportveranstaltung geworden, denke ich, und ich bin jetzt so alt, dass schon das Schuhezubinden und das Treppensteigen als eigene Sportart gelten könnten.
    Jan erzählt eine Geschichte von der Arbeit, ich muss zugeben, dass mich die Pointe nicht die Bohne interessiert. Ich lache mit, dort auf der Sofahure sitzend. Jan schaut im Videotext nach. Johann Olav Koss ist heute Abend Olympiasieger geworden, sagt er. Er liest die Zeit vom Bildschirm ab. Ich sage: Ich hab dich lieb, Jan. Ich sage es so leise, dass er es vielleicht nicht gehört hat. Er dreht sich jedenfalls nicht sofort um. Er steht mit dem Rücken zu mir da und hat die Fernbedienung in der Hand. Ich glaube, er hat mich gehört, denn seine Bewegungen wirken steif, als bräuchte er etwas Zeit, um das zu verdauen. Schließlich dreht er sich um und sagt: Ich habe gerade nicht zugehört, Vater. Ich wiederhole, was ich gesagt habe. Jan setzt sich auf den Sessel, er sieht zu mir herüber, als hätte er einen Patienten zur Behandlung und wüsste nicht weiter. Willst du über Arvid reden?, fragt Jan. Will ich über Arvid reden? Natürlich will ich nicht über Arvid reden. Er glaubt mir nicht. Er weiß nicht, wer ich bin. Er kennt nur mein hartes Herz.

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