Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Titel: Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Grytten
Vom Netzwerk:
Erinnerung an die Ereignisse der Nacht.

Die Augen öffnen. Das steife System in Gang bringen. Kleine Bewegungen zunächst. Später ambitioniertere. Das Tageslicht dringt noch nicht durch. Aus dem Fenster blicke ich auf IKEA und den Parkplatz. Schnee, Lichter, Autos. Noch zittere ich, die Kälte hat den Weg in mich hereingefunden und findet nicht mehr hinaus. Ich stehe auf, dusche und ziehe frische Kleider an, versuche, die Wärme zurückzuholen. Ich stecke die Pistole in die Jackentasche und gehe nach draußen. Mein Kopf unter dem Hut ist kalt und klar. Ich verlasse die Ikeagata, sehe Rauch über den Schornsteinen, weiße Säulen, die in der Dunkelheit nach oben steigen, sehe Dächer voller Schnee. In IKEA-Stadt wirkt alles ruhig. Ich versuche, das Haus zu finden, das Ebba mir gezeigt hat. Hof Bölsö. Ein langes Leben als Möbelhändler hat mich mit einem ausgeprägten Orientierungssinn ausgestattet. Zwar benötigt man keinen besonders guten Orientierungssinn, um sich in Åsane zurechtzufinden, aber nimmt man die Einwohnerzahl, belegt Åsane unter den norwegischen Städten den achtzehnten Rang, ist fast ebenso groß wie Arendal. Wer aus Åsane kommt, ist dennoch ein Niemand. Unsere Häuser waren Niemandsland, nur ein Platz zum Wohnen. Mein Laden war ein Nichts, nur ein Loch in den Spaghetti. Sie haben die Autobahn quer durch Åsane gelegt, und der Ort wurde vom Autofenster aus zu Asphalt und Beton. Bei der Eröffnung von IKEA hörte ich mir das endlose Blablabla des Bürgermeisters an, welche Bedeutung dieser Schritt für Bergen und Åsane habe. Als Möbel-Lunde 1948 eröffnete, machte mein Vater einfach die Tür auf, und los ging’s. Große Worte mögen den Weg ins Herz der Leute finden, aber sie sind an einem stinknormalen Montagmorgen nicht viel wert. Anfang der Siebziger gab es einen Plan für den weiteren Ausbau des Stadtteils, Stück für Stück, mit kleinen Parks und Platz um die Häuser, mit Parkplätzen unter der Erde. Ob man ein Zimmer möbliert oder eine Stadt baut, das Prinzip ist dasselbe, Zimmer und Städte mit menschlichem Inhalt füllen, etwas erschaffen, was das Beste aus den Leuten herausholt. Der Bebauungsplan landete natürlich in der Schublade, und Åsane wurde wie eine AG organisiert. Åsane wurde zu einer Jackentasche, einem Glückstreffer, einem Prolog. Keine Spur von etwas Menschlichem. Alle Firmen erhielten Baugenehmigungen, alle durften ihre Erweiterungspläne verwirklichen – mit einer Ausnahme: Möbel-Lunde. Der Stadtrat forderte zum Beispiel, dass sämtliche Parkplätze bei IKEA unter die Erde oder ins Untergeschoss des Gebäudes gelegt wurden. Selbstverständlich waren am Ende alle Parkplätze über der Erde. Ich protestierte, ich schrieb Leserbriefe, ich rief die Politiker an, aber sie ließen mich abblitzen, wie sie alle, die aufbegehren, abblitzen lassen.
    Ein kleiner Umweg, und ich stehe auf dem Platz vor Kamprads Haus. Heute keine Hunde auf der Treppe, kein flatternder Vorhang. Ich bleibe im Auto sitzen, will sehen, ob sich drinnen etwas tut. Ich will, dass es wieder anfängt zu schneien. Gehe ich jetzt zum Haus, werden mich meine Fußspuren verraten. Die Fußspuren werden für die Polizei das wichtigste Beweismittel sein. Auf den Schnee warten. Ruhig dasitzen und warten. Ich merke, wie mir vom ruhigen Sitzen im Auto die Knie anschwellen, bald werden sie so dick sein, dass ich mich bewegen muss. Mir wird klar, wie sehr Älmhult Åsane ähnelt, noch so einer dieser Orte, an denen die Leute gesund und munter um sieben Uhr aufwachen, sich bis zum Feierabend vorarbeiten und hungrig werden, dann ruhen sie sich aus, schalten den Fernseher ein, dehnen den Tag am Ende ein wenig aus und gehen mit den letzten Nachrichten und dem Wetter ins Bett, auch heute ist nichts passiert. Nichts. Nirgendwo. Ich bin der Mann, der genau dagegen vorgehen will.
    Schließlich nehme ich die Pistole an mich und gehe zu Kamprad. Die Tür steht offen. Anfängerglück. Ich schlüpfe schnell hinein, bleibe im Gang stehen und lehne mich an die Wand, als würde ich dadurch unsichtbar. Ich bleibe stehen, bis ich sicher bin, dass niemand mein Kommen bemerkt hat. Dann bewege ich mich Richtung Wohnzimmer wie ein wachsames Tier, gleite mit vorsichtigen Schritten über den Boden. Kein Alarm geht los, ich hatte eigentlich damit gerechnet, das ist das Zuhause eines der reichsten Männer der Welt, und es gibt keine Alarmanlage. Wunderbar, das macht es leichter. Ich werfe einen Blick auf die Familiengemälde an der Wand.

Weitere Kostenlose Bücher