Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
nach allem, was er gerade getan hat. Das kann nur ein unverwundbarer Mann. Ich kann nur daran denken, dass ich ihn gefangen genommen habe, jetzt fühle ich mich frei. Wie lange habe ich davon geträumt, mit meinem Mörder hier zu sitzen, mich selbst zu seinem Mörder zu machen? Jetzt sitzt Ingvar Kamprad auf seinem breiten Hintern in meinem Bett. Haarlos, im Mantel, armselig. Er rührt sich nicht. Der drittreichste Mann der Welt rührt sich nicht. Ich bleibe sitzen und starre ihn an. Wenn dich deine arme Mutter jetzt sehen würde, denke ich, deine arme Mutter. Es ist merkwürdig, wie dieses Gesicht zur näheren Erkundung einlädt, es schreit nach Sympathie. Gilt das nicht für alle Gesichter?
Um halb drei lasse ich Ingvar Kamprad im Hotel zurück und gehe zu IKEA. Es ist bestimmt nicht verkehrt, den Mann eine Weile allein auf dem Bett zu lassen. Ich muss dafür sorgen, dass die Angst in seinen Körper kriecht. Hat man ein Leben auf Lügen aufgebaut, hört man nicht plötzlich an einem Nachmittag im Februar damit auf. Mit ruhigen Schritten überquere ich die Straße. Im Verwaltungsgebäude von IKEA bitte ich darum, jemanden von der Geschäftsleitung sprechen zu dürfen, am liebsten einen von Kamprads Söhnen. Ich werde gebeten zu warten. Die Bürokraft zeigt auf einen Stuhl. Einen IKEA-Stuhl natürlich. Nehmen Sie ruhig Platz, während Sie warten, sagt die Dame freundlich. Ich bleibe stehen. Ich bin immer noch ein Mensch, der sich groß machen muss, um gehört zu werden, darum bleibe ich stehen. Ich studiere die Bürokraft, die in Gelb und Blau gekleidet ist. Nach einer Weile merkt die Bürokraft, dass sie beobachtet wird. Es muss unangenehm sein, dass ich so aufrecht dastehe, ein alter Mann, der sich partout nicht setzen will. Sie kommt wieder zu mir herüber, will sich nur vergewissern, dass sie richtig verstanden hat, als hätte sich die Situation radikal verändert, weil ich immer noch stehe und mich nicht setzen will. Ich sage, dass ich extra aus Norwegen gekommen bin, um mit Kamprads Söhnen zu sprechen. Die Bürokraft sagt, Norwegen sei ein phantastisches Land, ihr Mann und sie hätten vor zwei Jahren dort ihren Urlaub verbracht. Könnten Sie mir vielleicht kurz sagen, worum es geht?, fragt sie. Ich will Lösegeld fordern, sage ich. Verzeihung? Lösegeld, wiederhole ich. Sie sieht mich an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen. Sie wolle es noch einmal versuchen, sagt sie. Sie kehrt zu ihrem Schreibtisch zurück und nimmt den Hörer in die Hand. Ich überlege, ob sie vielleicht bei der Polizei anruft, aber dann würde sie vermutlich lächeln und die Situation möglichst überspielen. Ich glaube, sie will mir tatsächlich helfen, Kontakt zu den Söhnen meines Mörders aufzunehmen. Sie kommt wieder zu mir herüber. Wenn Sie bitte Platz nehmen wollen, Peter kommt gleich, sagt sie. Peter?, frage ich. Ja, Ingvar Kamprads Sohn. Mathias und Jonas sind verreist, aber Peter ist hier. Sehr schön, sage ich. Sehr schön, dass Peter kommt. Ich kann warten. Bitte sehr, nehmen Sie doch Platz. Ich bleibe lieber stehen, sage ich. Wie Sie wollen, sagt sie. Sie geht zu ihrem Schreibtisch, ich bleibe stehen. Ein stehender Mann vermittelt etwas Beunruhigendes und Aufdringliches. Ich weigere mich, die Regeln zu akzeptieren, die sie aufstellt. Hier stehe ich, nur von Muskelkraft gestützt. Die meisten Menschen in der westlichen Welt verbringen drei viertel des Tages im Sitzen. Diese Entwicklung ist für einen Möbelhändler natürlich wunderbar, in einem größeren Zusammenhang gesehen aber alarmierend. Die Muskeln des Körpers sind dazu geschaffen, sich zu bewegen, zu handeln, gebraucht zu werden. Bewegung ist ein schönes Wort. Von Stillsitzen kommt nichts.
Die Zeit läuft, ich stehe. Die Bürokraft verschwindet, ich werde unruhig, aber schon kommt sie mit einer Tasse Kaffee für mich zurück. Ich bedanke mich, trinke den Kaffee stehend. Ich spüre, in welch miserablem Zustand meine Rüstung ist, auch wenn Stehen wahrlich weniger anstrengt als Stillsitzen. Werden die Muskeln nicht genug beansprucht, schicken sie Signale ans Gehirn, dass sich der Körper unwohl fühlt. Stillsitzen hemmt Menschen, nimmt ihnen die Freiheit. Schließlich setze ich mich und überlege, dass es so perfekt ist, ich verwirre sie, indem ich erneut die Spielregeln ändere, ohne zwangsläufig resigniert zu haben. Ich sitze da und frage mich, ob ich auch die Söhne entführen soll. Ich kann sie im Paket anbieten, IKEA kriegt sie mit Rabatt
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