Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
normalerweise seine Leute, die ihm beim Pinkeln helfen? Ich mache die Tür einen Spaltbreit auf. Ich sehe, dass Kamprad die Hose heruntergelassen hat und auf der Kloschüssel sitzt. Ich hätte es wissen müssen, er pinkelt im Sitzen. Soweit ich weiß, pinkeln alle Schweden im Sitzen. Gesunder Menschenverstand sagt mir, dass es vermutlich nicht so ist, aber Kamprad muss sich wie eine Frau zum Pinkeln setzen. Ich lächle, bis ich von drinnen weitere Körpergeräusche höre. Ich habe den Verdacht, dass Kamprad dort ganz andere Dinge treibt. Er ruft etwas, von den traurigen Tönen seines Körpers begleitet. Mir wird bewusst, dass ich einmal Marny hatte, jetzt habe ich Ingvar Kamprad. Die gleiche alte Scheiße. Ich bin überhaupt nichts wert, schreit Kamprad. Und warum nicht?, rufe ich, um an etwas völlig anderes denken zu können. Er murmelt etwas vor sich hin. Ich stehe auf und gehe zum Fenster, stecke den Kopf zwischen die Vorhänge. Es gibt sie noch, die Welt da draußen, alles andere wäre natürlich eine Sensation. Die Leute kommen mit ihren riesigen Einkaufswagen von IKEA, als wäre nichts passiert. Sein ganzes Leben lang war Ingvar Kamprad privilegiert, jetzt werde ich ihm zeigen, dass er nichts Besonderes ist. Ärgerlich ist, dass die Geschichte einfach weitergeht, dass die Leute Schrott von IKEA in ihre Autos laden, nach Hause fahren, der Tag ist fast schon vorbei, es ist nichts weiter passiert, nichts zu vermelden. Aber ich habe Kamprad in meinen Klauen, er sitzt in Zimmer 211 im Värdshuset mit einer Kette um die Knöchel. Das ist eine Tatsache. An Tatsachen muss man sich halten, wenn alles rundherum zusammenbricht. Ich kann jetzt nicht aufgeben. Wie wär’s mit etwas zu essen, sagt Kamprad, als er in der Tür steht und die Hose hochzieht. Das können Sie vergessen, sage ich. Das geht nicht, sagt Kamprad, je mehr man ans Essen denkt, umso schwerer fällt das Vergessen. Haben Sie nicht gerade gegessen?, frage ich. Kamprad sagt, dass er gern isst. Das könne er jetzt vergessen, sage ich. Wie wäre es mit einem Kügelchen Tabak für die Oberlippe?, fragt Kamprad. Tabak wäre jetzt nicht schlecht. Ich sage nichts. Sie sind nicht sehr gesprächig, sagt Ingvar Kamprad. Ist das eine Frage?, sage ich. Nein, eine Feststellung, sagt Ingvar Kamprad. Er lächelt und setzt sich aufs Bett. Ich befestige die Kette am Kopfende. Wie viel?, fragt Kamprad. Wie viel?, frage ich. Ja, wie viel wollen Sie für mich haben? Ich habe an etwa zwanzig Millionen gedacht, sage ich. Er lacht. Das ist vollkommen unrealistisch. Nun ja, sage ich. Früher habe ich alles Mögliche gezählt. Die Regenschauer. Die Stunden. Die Kunden, die in den Laden kamen. Die Betten im Lager. Stühle und Tische. Die Sofagruppen. Die Dreisitzer. Das ganze Sortiment. Ich habe ausgerechnet, wie viele Arbeitstage ich insgesamt im Laden zugebracht habe. Für die Zahl gebe ich keinerlei Garantie, ich habe nicht Buch geführt, habe viele Wochenenden bei der Arbeit verbracht, und es gab Tage, an denen ich auf Dienstreise war, aber diese Zahl ist dabei rausgekommen: 16 008. Ich denke gern an diese Zahl. Es ist meine Verteidigungsschrift, etwas, was meine bevorstehenden Handlungen legitimieren kann. 16 008 Arbeitstage. Eine beeindruckende Zahl. Jetzt werde ich Ingvar Kamprad in eine Zahl verwandeln.
Am Abend liegen wir nebeneinander in der Dunkelheit, ich teile das Bett mit Ingvar Kamprad. Da ist er, das graue Huhn auf der Hühnerleiter, angekettet, meiner Wut preisgegeben. Ein erbärmliches Schlachttier für einen erbärmlichen Schlachter. Kamprad dreht sich zu mir um und sagt: Ich kann Ihnen Geld geben. Ach?, sage ich und mache ihn darauf aufmerksam, dass er eben noch behauptet hat, das komme nicht in Frage. Na ja, vielleicht nicht so viel, wie Sie sich vorgestellt haben, sagt Kamprad. Wie viel denn?, frage ich. Ich weiß es nicht, ich kann morgen ein paar Anrufe tätigen. Kamprad vermittelt den Eindruck, eher dumm als bösartig zu sein. Da liegt er und diskutiert mit mir den Preis für sein Leben. Was für ein Idiot. Schlafen Sie gut, Mr. Nicholson, sagt Kamprad. Ich antworte nicht.
Zu Marny habe ich vorm Einschlafen immer gesagt: Danke für diesen schönen Tag, Marny. Und sie sagte dasselbe zu mir: Danke für diesen schönen Tag, Liebster. Dann drehten wir uns auf die Seite und hielten uns an den Händen, bis wir eingeschlafen waren. Ich sollte nicht schlafen, Schlaf gehört nicht zu meinem Plan, aber ich kann die Augen nicht länger offen halten. Ich träume,
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