Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
fast leer, und ich dachte, es täte mir gut, auf neutralem Gelände zu sein, dort könnte ich bestimmt die ganze Nacht durchschlafen.
Eines Morgens kam Gunnar in den Laden, er hatte immer noch die Schlüssel und wollte etwas holen. Ich sah mich in seinen Augen, als er mich in einem Etagenbett aus unbehandelter Kiefer entdeckte. Ich tat alles Mögliche, um mich vom Haus fernzuhalten. Ich machte lange Spaziergänge, ging ins Kino, begann wieder Bridge zu spielen. Einmal am Tag erklomm ich den Stoltzekleiven, achthundert Stufen, die direkt in den Himmel führten, auch wenn mir die Puste dazu fehlte und es das Langweiligste war, was ich mir vorstellen konnte. Ich tat es, damit ich müde wurde und schlafen konnte. Das Problem war, dass ich wie ein Kind einschlief, aber nach ein paar Stunden wieder wach wurde und eine Weile liegen blieb, bevor ich aufstehen musste. Im Haus riskierte ich, Dinge zu finden, die etwas über mein Leben mit dir verrieten, Marny. Eines Morgens fand ich eine Einkaufsliste, auf der mit deiner schönen Handschrift 2 Bettlaken geschrieben stand. Ich glaube, ich habe den ganzen Tag geweint, Marny. Ich fand ein Blatt Papier, auf das du geschrieben hattest: Wo ist Jan? Wo ist Arvid? Wo ist Harold? Du hattest die Zeilen mittig angeordnet, so dass es wie ein Gedicht aussah. Ich fand kleine Post-its, die ich dir geschrieben hatte, Nachrichten oder Strophen, an den merkwürdigsten Orten angebracht, im Waschraum, hinter dem Fernseher, im Handschuhfach des Autos. Erinnerst du dich? Nein, natürlich erinnerst du dich nicht. Ich hatte sie dort angeheftet, um dich zu überraschen, dich glücklich zu machen. Stattdessen war ich jetzt überrascht und untröstlich. Zum Beispiel fand ich einen Zettel, auf dem stand: Ich will mit dir machen, was der Frühling mit dem Kirschbaum macht. Ich weiß nicht, woher ich das Zitat hatte, aber es jetzt zu finden war so, als rammte mir jemand die Spitze eines Regenschirms ins Herz. Ich begann Sachen einzusammeln, die ich entsorgen wollte, alles, was du einmal warst, Marny. Ich wollte die Sachen im Garten stapeln und in Rauch aufgehen lassen, sehen, wie unsere Vergangenheit in einer weißen Rauchsäule über Åsane aufstieg.
Ich holte deine Kleider aus dem Schrank, blieb aber mit ihnen sitzen und roch daran. Dein Morgenmantel, die weiße Bluse mit den Stickereien, dein Hochzeitskleid. Ich nahm das Fotoalbum mit den lose hineingelegten Fotos von uns heraus. Ich hatte geplant, es anzuzünden, aber ich blieb sitzen und starrte die Bilder an. Da war eins, auf dem du unter einer brennenden Lampe in deinem Lieblingssessel schläfst, eins, von Jan aufgenommen, auf dem wir in der Küche tanzen, eins, auf dem du im Garten in einem Haufen Herbstblätter sitzt, eins, auf dem du auf der Badezimmerwaage stehst und mir mit dem Finger drohst, weil du nicht fotografiert werden willst. Das schönste Foto stammt aus Herning, von einer der Möbelmessen, zu der du mitgekommen warst, als die Jungen schon groß waren. Wir sitzen abends in einer Bar, du hältst ein Glas in der rechten Hand, und ich habe den Arm um dich gelegt, ich sage etwas zu dir, was dich zum Lächeln bringt. Was für ein hübsches Lächeln du hattest, Marny. Ich wollte die Fotos allesamt verbrennen, stattdessen klebe ich sie ins Album ein, sortiere sie und schreibe kurze Kommentare darunter. Früher hatten wir dafür keine Zeit, jetzt habe ich alle Zeit der Welt. Ich schrieb: Marny im Pyjama, Heiligabend 1978 , oder: Marny mixt einen Cocktail, November 1970 , oder: Marny beim Puzzeln, Ostern 1972 , oder: Marny in unserem funkelnagelneuen Saab, Åsane 1985 , oder: Geliebte Marny, 1990 . Ich archivierte alles, was einmal uns gehört hatte, damals, als wir die Zukunft noch vor uns hatten, du und ich, bevor es plötzlich zu spät war, um Pläne zu machen. Jeden Tag dachte ich: Komm heim, Marny, komm heim. Die Nächte waren am schlimmsten. Wann kommst du heim, Marny?, flüsterte ich im Dunkeln. Wann kommst du heim? Wo bist du geblieben, Marny?
In den ersten Monaten kam Marny tatsächlich zweimal nach Hause. Sie klingelte und stand lächelnd draußen auf der Treppe. Sie hatte den ganzen Weg vom Pflegeheim hierher gefunden, wie eine Katze oder ein Hund, die sich in der Welt verlaufen hatten, aber den Heimweg irgendwo tief in sich trugen. Beide Male nahm ich sie in den Arm und bat sie herein. Beide Male kam es zum Streit mit dem Pflegeheim, die Leiterin nahm sich der Sache an, und das zweite Mal wurden Nachforschungen angestellt, was
Weitere Kostenlose Bücher