Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
wie WIR SIND FÜR SIE DA und ROT IST SCHÖN. Der Oddaer Parteisekretär hatte 2 + 2 = 5 vorgeschlagen. Dem Typ fehlte es an fundamentalen Mathematikkenntnissen. Arvid Lunde war auf der richtigen Spur gewesen, er musste nur noch etwas Rhetorik lernen, um die breite Masse der Wähler und Parteikollegen zu erreichen. Wäre er schon länger in der Politik, hätte er gewusst, dass die Leute keine Erneuerungen wollten, den Leuten waren Erneuerungen zuwider. Es war sinnlos, in einem Land, in dem die Menschen besonnen und gewissenhaft waren, zur Revolution aufzurufen. Wir müssen die Wähler gewinnen, indem wir auf unsere historische Aufgabe verweisen, sagte der Bürgermeister zu Lunde und legte ihm den Arm um die Schulter. Falls Arvid Lunde den eingeschlagenen Weg weiterverfolgen sollte, wäre er ein Mann, der in der Partei für Höheres ausersehen war. Sie würden ihn zum Breitenpolitiker aufbauen.
Als Arvid Lunde und Trygve Mathissen während des Wahlkampfs im Herbst 1983 durch Odda fuhren, wurde Arvid Lunde ständig an die Niederlage erinnert, die er in der Politik erlitten hatte. Überall hingen Plakate mit dem Puzzle und dem idiotischen Slogan. Trygve Mathissen sagte, Lunde müsse die Sache vergessen und nach vorn schauen. Seine eigene große Niederlage in der Politik sei sein Sohn, der die Konservativen wählte. Es war im Übrigen sein einziger Sohn, erzählte der Kokser, er hatte den Jungen allein großgezogen. Die Mutter war an Krebs erkrankt und gestorben, als der Junge drei Monate alt war. Es war das reinste Bänkellied, sagte er und zündete sich eine Zigarette an. Eigentlich wäre ich der Kandidat für Krebs gewesen, sie hat nie geraucht, während ich mein Leben lang wie ein Schornstein gequalmt habe. Sie saßen oben in Freim im Auto mit Blick über Odda, als Mathissen davon erzählte, es regnete, und sie hatten keine Lust auszusteigen und an weiteren Türen zu klingeln. Ich habe dem Kleinen zu lange die Brust gegeben, sagte Mathissen. Was sagst du da?, fragte Arvid Lunde. Ich habe dem Jungen zu lange die Brust gegeben, sagte Mathissen. Du hast ihm die Brust gegeben? Ja, ich habe ihm bis zu seinem vierten Lebensjahr die Brust gegeben. Arvid Lunde traute seinen Ohren nicht. Mathissen erzählte, ihm habe der Junge furchtbar leidgetan, als seine Mutter starb, er habe ihn alle zwei Stunden an die Brust gelegt, und auch wenn keine Milch herauskam, hatte der Junge diese Minuten geliebt. Aber ich habe ihn nie in der Öffentlichkeit an die Brust gelegt, sagte Mathissen. Da war die Grenze, daheim bekam er die Brust, wann immer er wollte, bis er vier war. Danach musste ich aufhören, sagte Mathissen, da war auf einmal Schluss, aber der Schaden war wohl schon angerichtet.
Der Schaden?, fragte Arvid Lunde.
Ja, der Junge ist ein echter Konservativer geworden, sagte Mathissen.
Arvid Lunde lebte schon seit mehr als drei Jahren in Odda. Er hatte darauf gewartet, dass die Stadt sich öffnete wie eine Blume im Sonnenlicht. So ist es, wir packen unsere Koffer, fahren in neue Städte, neue Länder, stehen eines schönen Tages an einem fremden Ort auf und merken, dass unser Herz in einem anderen Rhythmus schlägt als die Stadt, in die wir hinausgehen. Wir sehnen uns nach dem Tag, an dem wir in die Stadt plumpsen und aufgefangen werden, in den Alltag plumpsen, durch die Straßen laufen im selben Tempo wie die Stadt. Arvid Lunde glaubte daran, dass dieser Tag allmählich nahte. Er war Kaffeeverantwortlicher am Gymnasium Odda, er hatte sich in den Nachrichten für Tyssedal eingesetzt, er war beim großen Triumph der Arbeiterpartei in der Gemeindewahl (der besten Wahl seit 1913, die absolute Mehrheit im Gemeinderat) ein zentraler Hinterspieler gewesen. Er bewohnte mittlerweile die gesamte Kelleretage in einem Haus in Øvre Kalvanes, mit Blick über den Fjord und die Lichter der Zinkfabrik in Eitrheim. Die Besitzerin des Hauses war eine junge alleinerziehende Mutter, Elektroingenieurin, die ihren Mann bei einem Tauchunglück in der Nordsee verloren hatte. Die gemeinsame Tochter nannten die Leute in Odda Triefnase , weil sie zu jeder Jahreszeit erkältet war.
Arvid Lunde hatte Fräulein Mowinckel von der alleinerziehenden Mutter vorgeschwärmt. Meine Nachbarin hat bezaubernde Brüste!, hatte Arvid Lunde gesagt. Fräulein Mowinckel war errötet und hatte gesagt, diese Information finde sie reichlich überflüssig. Aber Lunde hatte weitergeredet und erzählt, dass er ihre Brüste heimlich vom Dach aus studiert habe, als sie sich
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