Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Stützen der Gesellschaft, die sich für das Volk opferten, die Rahmenbedingungen stimmten.
    Mit Arvid Lunde hatten sie einen Mann bekommen, der sich tatsächlich für Politik interessierte. Sie ließen ihn ganz klar wissen, dass er zunächst das politische Handwerkszeug zu erlernen habe, er müsse sich die Spielregeln aneignen und die Komplexität der vielfältigen Routinen erlernen. Ganz konkret hieß das, er müsse am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn einem die Tür vor der Nase zugeschlagen wird, er müsse jammernden Rentnern, die nur die Mindestrente bezogen und zu niedrigen Blutzucker hatten, zuhören und sich durch Stapel von Unterlagen kämpfen, die von Verwaltungskontrollausschüssen oder Grundstücksenteignungen handelten. Er machte sich an die Arbeit mit jener inneren Freude, die uns fehlte. Er war ein Mann mit einem Anliegen, er zeigte Interesse für Gemeindeteilpläne, Verwaltungsreformen und Richtlinien zur Unterstützung kultureller Veranstaltungen auf kommunaler Ebene. Lundes Mentor war der AP-Veteran Trygve Mathissen, ein Schmelzarbeiter im Ruhestand, der in seiner Jugend norwegischer Landesmeister im Boxen gewesen war. Mathissens Spitzname lautete Kokser , er war bekannt für seinen klassischen Stil und seine linke Gerade. Lunde und er liefen zusammen durch den Regen, sie kämpften sich durch Schlamm und Schneematsch zu den Wohnungen der Wähler, die den Fortbestand einer lebendigen Sozialdemokratie in Odda sichern sollten. Von Trygve Mathissen lernte Arvid Lunde etwas Wichtiges für die Politik: Ein Mann sollte keine klare Meinung haben. Die Leute interessieren sich im Grunde nicht für Politik, darum sollte man mit den Leuten besser nicht über Politik sprechen und nicht versuchen, sie zu überreden. Wer will schon an einem gewöhnlichen Mittwochabend über Politik reden? Die Leute wissen alles über die erste Elf von Liverpool, haben aber keine Ahnung, wer sie im Gemeinderat vertritt. Die Leute halten Politiker für Streber, darauf versessen, das Rednerpult zu betreten, verliebt in ihre eigene Stimme. Darum bedeutet Politik, die Leute zum Wählen zu bewegen. Wenn man die Macht hat und gern an der Macht bleiben will, darf man sie nicht zu sehr heraushängen lassen. Das ist lebensgefährlich. Man muss dieselbe Meinung haben wie die Leute, man muss das betonen, was die Leute wichtig finden und was sie beschäftigt. Wenn man den Willen zur Macht hat, muss man die Stimmung der Leute aufgreifen.
    Wir dürfen das Herz nicht vergessen, sagte Trygve Mathissen. In der Politik appellieren wir zu sehr an den Kopf. Wir müssen den Leuten Hoffnung machen. Denk an das Herz, Lunde! Er selbst rauchte seit seinem 16. Lebensjahr vierzig Zigaretten am Tag und hatte zwei Herzoperationen hinter sich. Das Rauchen hatte seiner Boxerkarriere seinerzeit zwar geschadet, aber er hatte zu keinem Zeitpunkt ans Aufhören gedacht. Ich rauche viel mehr, als das Parteiprogramm vorschreibt, sagte Mathissen grinsend. Er schaffte es kaum die Treppen hoch, um die Wähler zu mobilisieren, keuchend kam er bei den Leuten an, stammelte auf Türschwellen und an Küchentischen Brocken des Parteiprogramms. Er war so vollgestopft mit Nikotin, dass er der Meinung war, man könnte gut und gern eine Röntgenaufnahme seiner Lungen als Passfoto nutzen. Trygve Mathissen redete immer gut über Arvid Lunde. Er sagte, man könne bei vielen Dingen im Leben bluffen, aber niemals beim eigenen Engagement. Arvid Lunde bekam den Auftrag, sich einen Slogan für den lokalen Wahlkampf 1983 auszudenken. Nach langem Grübeln und viel harter Arbeit verfiel er auf Folgendes: BEWAHREN DURCH ERNEUERN. Er stellte den Slogan bei einer offenen Parteiversammlung im Gerichtsgebäude vor, er hatte ihn auf ein Plakat gepinselt und gab ihn Wort für Wort frei, indem er die aufgebrachten Klebestreifen entfernte. Die Partei war begeistert, aber nach einer Mitgliederumfrage kam die Parteispitze zu dem Ergebnis, dass Alternativen hermüssten. Bei einer Abstimmung einen Monat später sprach sich eine klare Mehrheit für folgenden Slogan aus: AP FÜGT DIE TEILE ZUSAMMEN. Sie verwendeten den Slogan im Wahlkampfmaterial und in ganzseitigen Anzeigen im Hardanger Folkeblad : Die Provinzstadt Odda wurde als Puzzle gezeigt, dem ein paar Teile fehlten. Es war eine klare Niederlage für Arvid Lunde. Doch nach der Abstimmung hatte der Bürgermeister ihn beiseitegenommen und gesagt, dass er eindeutig den besten Slogan formuliert habe. Die Alternativen seien eher peinlich gewesen,