Ein EKG fuer Trimmel
Aktion aber ein Mehr-, wenn nicht Vielfaches davon!«
»Aber die vielen früheren Todesfälle?« gibt Korth zu bedenken. Zum letztenmal gibt es hier und in dieser Sache überhaupt was zu bedenken.
»Ach, wissen Sie, man kann sich dem Fortschritt letztlich nie versagen«, sagt Sandmann, »man muß Opfer bringen, und das gilt für uns wie für die Patienten!« Die Antwort paßt eigentlich überhaupt nicht in diese Stunde zwischen Mitternacht und Morgen; sie scheint eher in einen Parlamentsausschuß zu gehören, dessen Mitglieder nach einigen Jahren ihre Verantwortung für den Fortschritt an der Pensionskasse abgeben.
Und Korth fragt sich eines: Soll er ausgerechnet in dieser Wohnung, quasi bei der Konkurrenz, seinem Kummer über Lachnitz Luft machen? Nie im Leben! beschließt er für sich. Denn die satten Sprüche, die Sandmann hier klopft, sind praktisch dieselben Sprüche, wie sie auf Bohr- oder ähnlichen ›Packen-wir’s-an!‹-Inseln protokolliert werden… widerlegbar sind sie nie, und ob sie stimmen, weiß auch keiner.
Trotzdem, der Kompromißvorschlag: muß man ihnen im Interesse der gesamten Menschheit nicht zustimmen?
Ja, man muß! entscheidet Korth – anders läuft auf der Welt gar nichts! Und dann, mit einem Male, hat er einen sehr merkwürdigen Eindruck von sich selbst: jetzt erst, in diesem Moment, reift er nach all den Lehr- und Wanderjahren definitiv zum Mann!
»Einen allerletzten Nightcap!« befiehlt Sandmann.
»Auf den Fortschritt!« sagt Korth, zynischer, als es sonst seine Art ist. Denn der Fortschritt hilft am Ende immer, vor allem gemischt mit Alkohol.
Von wegen, wieder vor Mitternacht: Es ist kurz vor zwei, als Trimmel auf die Uhr schaut. Das dumpfe Hämmern und Dröhnen in seinem Kopf ist noch schlimmer geworden. Sogar der Kugelschreiber dröhnt über das Papier, als Trimmel seinen Namen unter die engbeschriebenen Blätter setzt, unter den Zwischenbericht, der’s in sich hat, wie er glaubt.
Er legt sein Werk in den Schreibtisch, schließt ausnahmsweise ab und verläßt das Büro. Grüßt müde zurück, als der Polizist am Eingang ihn herausläßt. Geht dann zu Fuß zum Hauptbahnhof und nimmt dort erst ein Taxi.
»Nach Hamm!« sagt er. Nach Hause.
Denn selbst seine Stammkneipe, das Old Farmsen Inn, hat um diese Zeit längst die Luken dicht. Bleibt nur der Kühlschrank in der Küche… aber dabei hofft er inständig: hoffentlich muß er kein Wort mehr reden!
Vorsichtig macht er auf. Nur in der Diele macht er Licht, stößt dabei allerdings, taumelnd und von seinen Kopfschmerzen geplagt, krachend einen Hocker um.
Wenn Gaby nicht schläft, tut sie wenigstens so… Gott sei Dank, denkt er geradezu inbrünstig. Er stellt den Hocker vorsichtig wieder auf und kippt fast vornüber. Früher war ich härter im Nehmen, sagt er sich, letztes Jahr noch, sogar noch letzten Monat. Mühsam trinkt er das Bier aus dem Kühlschrank zu Ende und legt sich, diesmal für die ganze Nacht, auf die Couch im geheizten Wohnzimmer.
Verrückterweise träumt er, Gaby würde weinen, weil er gestorben ist. »Aber so seht ihr alle aus!« murmelt er grimmig im Schlaf.
»Ich mein’s ja nicht böse«, sagt die sanfte Gaby freitags um zehn Uhr früh, »aber vielleicht sollten wir doch mal in Ruhe miteinander reden!«
»Über was?« fragt Trimmel scheinheilig.
»Über uns. Ich weiß, daß du viel um die Ohren hast – viel zuviel für dein Alter und für dein Herz…«
»Ach, hör auf!«
»… ich hab auch immer öfter das Gefühl, als ob ich eher noch eine zusätzliche Belastung für dich wäre. Ich meine, es war sehr nett von dir, als du mich nach dem Tod von Beerenberg gefragt hast, ob ich nicht vorläufig erst mal bei dir bleiben will; ich hab’s ja auch gern getan, und bestimmt nicht nur, weil ich auf der Straße stand… da hätte sich schon was finden lassen…«
Alarm! sagt sich Trimmel. Alarm ausgerechnet bereits beim Frühstück. »Aber?« fragt er.
»Ich glaube, unsere Zeit ist abgelaufen. Ich werd’ mir deshalb was Neues suchen, eine Wohnung, meine ich, weil…« Sie weiß nicht weiter.
Zwei Dinge sind hier gefährlich, und eins ist so schlimm wie das andere: Sie wird gleich weinen, und er kann, um alles in der Welt, keine weinenden Frauen ertragen; unter anderem deshalb hält er sich dienstlich den Leichenbestatter Petersen. Zweitens erwartet Gaby offenbar eine Art Heiratsantrag, und so was muß man sich ja wenigstens erst mal in aller Ruhe überlegen.
»Muß das wirklich heute
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