Ein Elefant im Mückenland
Spät am Abend heizte er die Sauna und wusch seiner Frau den Rücken. Es herrschte wieder eheliche Eintracht, zumindest vorläu-fig.
Lucia und ihr Elefant setzten am Nachmittag ihren Weg fort. Lucia befestigte ihren Koffer und ihre Taschen auf Emilias Rücken und kletterte dann selbst hinauf. Emilia erhob sich und stapfte durch den Birkenwald. Schon als Emilia ganz klein gewesen war, hatte Lucia ihr beigebracht, wie ein Pferd in die gewünschte Rich-tung zu gehen, aber ohne Zügel. Lucia besaß zwar einen zwei Meter langen Rohrstock, quasi als Peitsche, aber den brauchte sie so gut wie nie zu benutzen. Es genüg-te, wenn sie Emilia mit der Hand an einem Ohr zupfte, dann ging diese in die jeweilige Richtung.
Damit Emilia lief oder sogar galoppierte, brauchte Lucia ihr nur mit beiden Händen an den Hals zu klat-schen, dann schnaubte sie und legte wunschgemäß an Tempo zu. Jetzt hatte Lucia es jedoch nicht eilig, sie hatte nicht einmal ein Ziel. Es begann zu dämmern, und sie beschloss, den Wald zu verlassen und draußen am Feldrand weiterzuziehen, denn dort, wo sie saß, in vier Metern Höhe, peitschten ihr immer wieder unversehens Zweige ins Gesicht. Emilia schritt sicher und gleichmä-ßig aus, das Ganze wirkte vielleicht plump und langsam, aber tatsächlich legte sie vier, sogar fünf Kilometer pro Stunde zurück. Im selben Tempo marschieren die Mili-tärabteilungen, hatte Igor in Sibirien erzählt. Ein einzel-ner Mann bewegt sich mit sechs Stundenkilometern, eine Formation langsamer, denn dort kommt es zu Harmonikabewegungen, wenn die Männer, die am Schluss gehen, zurückbleiben und dann mit ein paar Laufschritten wieder aufschließen.
Gelegentlich blieb Emilia stehen und warf ihre defti-gen Fladen an den Feldrand, dampfende Dunghaufen, die viele halb verdaute Birkenreiser enthielten.
In den frühen Morgenstunden rasteten sie in einem dunklen Fichtenwald, beide waren inzwischen müde. Elefanten schlafen nur zwei Stunden pro Tag. Sie haben die Fähigkeit, auch im Stehen zu schlafen, dabei schnarchen sie wie ein Sägebock. Sie kippen nicht um, selbst wenn sie ganz fest schlafen. Die Nacht war feucht und kalt. Emilia schlief im Stehen. Lucia mochte eben-falls nicht vom Elefantenrücken herunterklettern, sie kuschelte sich zwischen das Gepäck und schlummerte ein.
Nach zwei Stunden gingen sie weiter. Lucia tätschelte Emilias warme Kruppe. Sie musste an die gemeinsam verbrachten Jahre denken und sprach laut darüber, dabei merkte sie, dass Emilia lauschte. Lucia erzählte von der Geburt des Elefantenbabys, von seinem Heran-wachsen auf den Sommertourneen des Suomi-Zirkus und schließlich von den spannenden Jahren im Großen Moskauer Zirkus, wo Lucia und Emilia die einzigen finnischen Künstler gewesen waren. Und dann die tollen Erfahrungen in den Steppen und Bergen des Kaukasus! Aber die aufregendste Zeit war jene gewesen, da sie im Eisenbahnwaggon über die endlosen Schienenstränge von Sibirien gerattert waren.
»Erinnerst du dich an Igor?«, fragte Lucia, und Emilia antwortete, indem sie ihren Rüssel steil zum nächtlichen Himmel aufrichtete und freundlich trompetete. Sie machte ein paar Tanzschritte, aber der Boden war nicht für Trepak geeignet. Nun ja, schließlich war die Sowjet-union zusammengebrochen, sie hatten ins heimische Finnland zurückkehren müssen, und hier waren sie nun, wieder unterwegs nach irgendwo.
Der nächtliche Ritt und der Sonnenaufgang führten Lucia und Emilia in einen neuen Tag und vor einen kleinen Dorfladen. Lucia rutschte nach vorn und setzte sich rittlings auf Emilias Kopf, von wo ihr diese mit dem Rüssel hinunterhalf. Es war wie wenn Kinder auf dem Hintern einen Hügel hinabrutschen, Tausende Male im Laufe der Jahre erprobt. Obwohl es noch sehr früh am Morgen war, kam der Kaufmann heraus. Er war dienst-bereit, was durfte es sein? Lucia kaufte für sich selbst ein wenig zu essen und für Emilia hundert Kilo Kartof-feln. Emilia fraß die Kartoffeln draußen auf dem Hof, während Lucia drinnen telefonierte und in ganz Satakunta nach einer geeigneten Halle oder einem Stall herumfragte.
Auch der Kaufmann machte sich Gedanken und frag-te, ob vielleicht eine alte Fabrik, ein Getreidesilo oder eine Scheune in Frage kämen.
»Taisto Ojanperä«, stellte er sich vor. Er zog aus der Tasche seines weißen Kittels ein mo-
dernes Telefon, mit dem man von und nach überall ohne Kabel telefonieren konnte. Es war ein Mobiltelefon, schwarz und in der Form einer Milchpackung.
»Sie
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