Ein Elefant im Mückenland
Elefanten Futter bekämen: Möhren, Kartoffeln, frisches Heu.
»Hier im Dorf hat seit Jahren keiner mehr Felder be-stellt. Alles, was wir brauchen, kaufen wir im Laden, die Kommune bezahlt«, erklärten die Männer.
Nun gut, der Kaufmann hatte immerhin genügend Kartoffeln vorrätig, und am Rande des Dorfes fanden sie einen Bauernhof, auf dem noch ein paar Milchkühe gehalten wurden und es somit auch Heu gab.
Insgesamt standen in Huutola nur etwa zwanzig Häu-ser. Im Dorf wohnten auch ein Lehrer und ein Pastor, aber die meisten Leute lebten von der Stütze. Schon vor Jahren war das örtliche Sägewerk in Konkurs gegangen, und die Beschäftigten waren seither arbeitslos. An der Landstraße nach Heinola stand eine alte Kapelle, und dort hatte der Dorfpastor einst gepredigt, eigentlich aber war er bei der Kirchengemeinde der Stadt angestellt. Das Dorf hatte auch ihn geprägt, er war mit den ande-ren zum Alkoholiker geworden, hatte sich in seiner Dummheit sogar ein Flittchen aus dem Dorf zur Gelieb-ten genommen, und auf diesem Pfad der Sünde und Verkommenheit wanderte er weiterhin. Nach dem Kon-kurs des Sägewerks war der Pastor aus dem Dienst entlassen worden, nicht so sehr wegen der verminderten Frequentierung der Kapelle, sondern eher, weil er nicht mehr imstande gewesen war, seinen Dienst auszuüben, sondern in aller Öffentlichkeit getrunken hatte, sowohl daheim im Dorf als auch in der Stadt. Er war sogar gewalttätig geworden und hatte mit seiner lasterhaften Freundin am helllichten Tag auf Straßen und Plätzen öffentliches Ärgernis erregt. Er hatte noch andere unsitt-liche Dinge angestellt, und so hatte man ihn schließlich als disziplinarische Maßnahme entlassen müssen.
Der Lehrer des Dorfes war nicht besser als der Pastor. Diese Leuchte des Volkes war ebenfalls ein hoffnungslo-ser Alkoholiker. Außerdem schwadronierte er bei jeder Gelegenheit über Politik und erklärte, dass er der einzige Mann im ganzen Land, und warum nicht auch in der ganzen Welt, sei, der bei den politischen Umbrüchen in den 1990er Jahren nicht sein Mäntelchen nach dem Wind gedreht hatte. Er sei seinen Ansichten treu geblie-ben, trotz des Zusammenbruchs der Sowjetunion, Kek-konens Tod und Finnlands gewaltiger wirtschaftlicher Rezession, kurzum trotz aller Stürme, die es in der Gesellschaft gegeben habe. Nun hätte man meinen können, der Lehrer mit dem lauten Organ sei ein glü-hender Verfechter des Sozialismus und Kommunismus, aber nein. Er behauptete, der letzte Anhänger Veikko Vennamos und nie gewillt zu sein, dessen feurige Ideen aufzugeben oder das kulturelle Erbe des vergessenen Volkes preiszugeben und, nach heutiger Manier, ver-wässern zu lassen.
Während Paavo und Lucia draußen vor dem Laden Emilia fütterten und auch selbst ihren Proviant verzehr-ten, erzählte ihnen der Lehrer bereitwillig von den ande-ren Dorfbewohnern. Gutes hatte er nicht über sie zu
berichten. Und es bestand wohl auch kein Anlass, Leute zu loben, die sich vollkommen gehen ließen und denen ihre Zukunft egal war. In Huutola lebte man in den Tag hinein, trost- und freudlos.
Nicht allein der Konkurs des Sägewerkes hatte das Dorf ins Verderben gestürzt. Bereits vorher, bald nach dem Krieg, hatte es drohende Vorzeichen gegeben. Im Dorf hatten ein paar bösartige Bauern gelebt, die unter-einander häufig in Streit gerieten, sich prügelten, ja sogar einen Mord hatte es unter den Männern gegeben. Weil das Dorf so abgelegen war, brannten die Bauern im großen Stile Schnaps, und das schon fast professionell. Der Wald am Seeufer war abgebrannt, mehr als vier-hundert Hektar, und das bedeutete, dass die Grundstü-cke dort kaum noch einen Wert hatten. Der Wald war zwar nachgewachsen und heute wieder sehr schön, aber wer sollte schon so dumm sein, sich ein Grundstück für sein Sommerhaus in dieser verrufenen Gegend zu kau-fen. Huutola war weithin berüchtigt, ein böser Ruf schallt eben auch aus dem Hinterwald.
Selbst das Aussehen der Bewohner von Huutola war seltsam. Ihre Miene war apathisch, die Augen stierten traurig, ihre Haltung war schlecht. Im Dorf traten erbli-che Geisteskrankheiten auf. Die Leute hatten zu oft in der Verwandtschaft geheiratet, und sogar unter Ge-schwistern waren uneheliche Kinder gezeugt worden.
Jetzt, Ende der 1990er Jahre, war Huutola nicht mehr zu retten. Die wenigen Familien, die der allgemeine Verfall nicht mitgerissen hatte, hatten ihre Häuser verkauft und waren weggezogen. Die Schule war längst geschlossen
Weitere Kostenlose Bücher