Ein Elefant im Mückenland
worden, der Lehrer hatte keine Lust gehabt, sich eine neue Stelle zu suchen, wie der Pastor war auch er ohne Job.
Die Leute starben an den verschiedensten alkoholbe-dingten Krankheiten. Die wichtigste Aufgabe des Kauf-manns war es, dafür zu sorgen, dass das Bier in seinem Laden nicht ausging. Nun ja, immerhin war jetzt ein ganzer Elefant als Kunde aufgetaucht, aber sonst liefen die Geschäfte schlecht. Der Kaufmann gestand, selbst ebenfalls abends im Hinterzimmer seines Ladens zu sitzen und Bier zu trinken, an Sonntagen sogar den ganzen Tag, auch wenn er, wie er behauptete, sehr religiös war. Die Kapelle war ja längst geschlossen wor-den, und extra zum Gottesdienst nach Heinola zu fahren war zu weit. Außerdem gab es im ganzen Dorf nieman-den, der so nüchtern war, dass er sich am Sonntagmor-gen guten Gewissens hätte ans Steuer setzen können.
Auf dem Hof eines jeden Hauses stand ein rostendes Autowrack. Gefahren war man also mal. Fast jeder Mann und auch viele Frauen waren irgendwann wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt worden. Manche hat-ten dieses Delikt bis zu hundert Mal begangen. Anderer-seits war in dieser entlegenen Gegend das Risiko, er-wischt zu werden, nicht sehr groß. Vor einer Woche war zuletzt eine Polizeistreife im Dorf gewesen, sie hatte zwei der schlimmsten Raufbolde abtransportiert. Für beide war es bereits das dritte Mal in diesem Jahr.
DER PASTOR
WIRD VON DER ASTGABEL GEHOLT Bis zum Abend hatten sich die Männer, die vor dem Laden herumgelungert hatten, weitgehend verzogen, wobei sie schwere Beutel mit Bier weggeschleppt hatten. Auch der Lehrer verschwand, aber, quasi um seinen Platz einzunehmen, kam der Pastor angewankt. Er war, neben dem Lehrer, der einzige Einwohner Huutolas mit akademischer Bildung, und so sagte er denn auch, dass er keine Lust habe, warmes Bier direkt aus der Flasche zu trinken, jedenfalls nicht ständig, und so hatte er jetzt zum Beispiel stattdessen eine halb geleerte Flasche mit Himbeerlikör in der Tasche.
Der Pastor stellte sich nicht weiter vor, gab den Frem-den auch nicht die Hand, sondern sagte nur, dass er völlig isoliert lebe. Er war ein geistiger und religiöser Eremit. Sein einziger Begleiter war der ständige Rausch und der unweigerlich darauf folgende Kater.
Der Pastor fing an, seinen verkaterten Zustand zu be-schreiben. Es war grausig anzuhören, aber irgendwie brachten Paavo und Lucia es nicht übers Herz, den geschassten Kirchenmann einfach stehen zu lassen. Auch Emilia schien ihm zu lauschen. Sie war daran gewöhnt, den seltsamsten Menschen zu begegnen.
»Wenn der Kater kommt, macht er keine Geräusche. Er setzt sich unter der Haut fest, kriecht in den Magen, ist ganz still. Aber er ist da, man fühlt und man weiß es. Bei Nacht treibt einem der Kater den Schweiß auf die
Stirn und lässt einen nicht schlafen. Bei Tag brennen einem die Augen, man hat Atembeklemmung, und wenn man pinkeln muss, hat man nicht die Kraft aufzuste-hen, man muss sich auf den Fußboden hinunterrollen und versuchen, in die Küche oder nach draußen zu kriechen, um sich nicht die Hose zu versauen.«
All dies erzählte er unverkennbar im Stil einer Predigt. Es schien, als identifizierte er tief im Innersten den Kater mit dem Teufel. Obwohl der Kater ein durchs Trinken verursachter Vergiftungszustand des Organis-mus war, konnte man ihn durchaus mit dem Seelen-feind, der vom Menschen Besitz ergriff, vergleichen. Beide, sowohl der Teufel als auch der Flaschengeist, verführen den Menschen, um ihn zu zerstören. Den aufsteigenden Rausch kann man eine Erfindung des Teufels nennen.
»Und dann die Gesichter. Lauter kleine Teufel tanzen einem vor den Augen. Man hört seltsame Stimmen. Man kriegt Platzangst, kann aber nicht weg. Man weiß, dass man im Delirium ist. Irgendjemand hat mal gesagt, er hätte rosa Elefanten gesehen. Na gut, dort drüben steht aber ein richtiger Elefant.«
Der Pastor fand, dass ein lebender Elefant tausend-mal netter und auch besser zu ertragen war als all die grässlichen Wesen in den Wahnvorstellungen.
»Dann das Zittern, die Krämpfe, das hämmernde Herz, der dröhnende Schädel … die Galle kommt einem hoch, der Speichel rinnt, man hat ein Stück Darm im Mund, das andere in der Hose, das Haar ergraut binnen einer Stunde, die Leber rinnt auf den Fußboden, die Zunge ist gelb wie die Wand des Pfarrhauses …»
Die Schilderungen hörten sich an, als wäre der Mann schon sehr oft in der Säuferhölle gewesen. Das zur Freude des Menschen gebraute
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