Ein Elefant im Mückenland
Immerhin hatte er sie jahrelang betreut.
Igor kam zur angegebenen Zeit nach Luumäki. Er fungierte als Beifahrer seines Autos, der eigentliche Fahrer war ein jüngerer Mann aus St. Petersburg. Das Auto war ein großer Lastzug, registriert in Russland. Die Reifen waren abgefahren, die Türen hatten Beulen, insgesamt wirkte das Fahrzeug heruntergekommen, aber der Motor und die Elektronik waren laut Igor eini-germaßen in Ordnung. Der Laster stand auf dem Park-platz des Motels, zu dem auch Lucia und Paavo mit Emilia kamen.
Igors und Emilias Begegnung war rührend. Emilia er-kannte ihren langjährigen Pfleger sofort. Sie schlang den Rüssel um seine Taille, hob ihn hoch in die Luft und setzte ihn dann sanft wieder ab. Es schien, als hätte sie Tränen in den Augen. Igor weinte herzzerreißend, er hatte große Sehnsucht nach seinem Schützling gehabt. Emilia brummte beruhigend wie eine Mutter zu ihrem Kind.
Lucia und Igor umarmten sich, dann machte Lucia ihn mit Paavo bekannt. Die Männer musterten einander eine Weile. Eigentlich waren sie Konkurrenten, beide kannten sie Lucia und hatten, jeder auf seine Art, an ihrem Leben teil. Sie fingen jedoch keinen Streit um ihre Freundschaft an. Igor holte ein Schwarzweißfoto aus seinem Portmonee, auf dem ein orthodoxes Grab zu sehen war. Ein schönes Holzkreuz stand da, und der Hügel war mit frischen Blumen geschmückt. Das war Lucias Ruhestätte in Hermantowsk. Igor schenkte ihr das Foto.
Sie betrachtete es lange. Es war eigenartig, sein eige-nes Grab zu sehen. Sie war offiziell tot, aber zum Glück nur in Russland und nicht in Finnland, also bedankte sie sich bei Igor für die Pflege ihres Grabhügels und für das Foto. Er war letztlich ein braver Kosak.
Paavo erzählte von dem bevorstehenden Begräbnis und fragte, ob Igor eine Tour auslassen und inzwischen Emilia betreuen könnte. Er könnte in dem Motel woh-nen, für Emilia müsste er einen passenden Schlafplatz suchen. Paavo würde ihn für die Elefantenpflege an-ständig entschädigen.
Der Fahrer des Lasters billigte Igor ein paar Tage Ur-laub zu und sagte, er komme ausgezeichnet allein klar – Igor könne gern eine Woche oder sogar zwei in Finnland bleiben. In Russland kümmert man sich nicht groß um den Verbleib von Menschen. In den 1930er Jahren und bis zu Stalins Tod verschwanden in der damaligen Sow-
jetunion Millionen von Menschen in Sibiriens unzähli-gen Sträflingslagern, und die Behörden fragten gar nicht nach ihnen. Vor diesem Hintergrund war es wirklich keine große Sache, wenn der Beifahrer eines Lasters für ein paar Sommertage in Finnland blieb.
Lucia und Paavo reisten zu Oskari Länsiös Begräbnis nach Luvia, sie flogen von Lappeenranta nach Helsinki und von dort weiter nach Pori. Am Abend vor dem Be-gräbnis unterhielt sich Paavo mit seiner Frau über die Ereignisse des Sommers. Kaarina gestand, dass sie eine Beziehung mit Sportlehrer Tauno Riisikkala hatte. Wozu noch leugnen, wenn schon überall darüber getratscht wurde. Im Gästehaus gab es einen Sattel, der ebenso war wie der des Elefanten. Paavo sagte darauf, dass die Spielwiese seinetwegen dort sein mochte, und auch Riisikkala könne gern hinkommen, unauffällig allerdings und unter der Bedingung, dass zu gegebener Zeit Lucia Lucander, wenn sie es wünschte, nach Köylypolvi ziehen dürfte. Nicht als offizielle Ehefrau, zur Scheidung käme es nicht, aber als eine Art Lieblingsfrau auf jeden Fall.
Zum Abschluss dieses Gespräches kündigte Paavo an, den Sportlehrer nach dem Begräbnis anständig zu ver-dreschen. Das war das Mindeste, was er als Hausherr in der Sache tun wollte. Seine Ehre war verletzt, das ver-langte Genugtuung. Und so kam es denn, dass Paavo den Sportlehrer zu gegebener Zeit richtig in die Mangel nahm – wobei er allerdings aufpasste, dass der andere rein äußerlich höchstens blaue Flecken davontrug. Riisikkala empfand die Behandlung als einigermaßen gerechtfertigt. Danach könnte er noch ungezwungener mit Kaarina verkehren. Die beiden Männer legten an-schließend ihren Streit bei, indem sie sich die Hand reichten. Die Sache war von der Tagesordnung. Beide Männer hatten jetzt ihre Frau für sich. Eine sehr spe-zielle Lösung, aber wegen des Landbesitzes musste eine Scheidung vermieden werden, denn dadurch wäre das große Gut zerfallen. Für Lucia bedeutete die Lösung eine Festigung der Freundschaft mit Paavo. Eigentlich lebten sie schon jetzt in einem eheähnlichen Zustand.
Oskari Länsiö wurde von etwa zwanzig
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