Ein endloser Albtraum (German Edition)
Kugeln.« Fi runzelte die Nase. »Dort drin müssen tausend davon gewesen sein. Warum gibt es in den Jungentoiletten immer diese kleinen, gelben Kugeln?«
»Woher weißt du, was es immer in den Jungentoiletten gibt?«, fragte Homer.
»Und was ist, wenn wir in den Quartieren der Schafscherer schlafen?«, sagte Corrie. »Der, der Wache hält, kann oben im Baumhaus sitzen. Wenn wir ein Fahrzeug hinter die Quartiere der Scherer stellen, können wir auf und davon und im Busch sein, bevor uns irgendwer zu nahe kommt.«
»Würden sie das Fahrzeug sehen oder hören?«, fragte Homer.
Corrie überlegte. »Das wäre möglich. Aber dazu sollte es nicht kommen, wenn die Wache sie früh genug entdeckt und wenn wir alle schnell sind.«
»Dann nehmen wir auch die Fahrräder mit hinauf, damit wir die lautlose Alternative haben, wenn wir sie brauchen. Und bringen wir die Küche in Ordnung, damit niemand merkt, dass wir hier gewesen sind.«
Mit jeder Stunde, die verging, wurde Homer überraschender. Es fiel uns immer schwerer, uns zu erinnern, dass man diesen schnell schaltenden Jungen, der uns innerhalb von fünfzehn Minuten zum Lachen und zum Sprechen gebracht und es geschafft hatte, dass wir uns wieder gut fühlten, in der Schule nicht einmal die Bücher austeilen ließ.
Neuntes Kapitel
Fi weckte mich gegen elf. Darauf hatten wir uns geeinigt, aber es war wesentlich einfacher, eine Übereinkunft zu treffen, als sich daran zu halten. Ich fühlte mich schwer, dumm und langsam. Es war eine Qual, auf den Baum zu klettern. Ich stand vor dem Stamm und sah fünf Minuten lang zu ihm hinauf, bevor ich die nötige Energie aufbrachte.
Manche Leute wachen schnell auf und manche langsam. Ich wache tot auf. Aber ich weiß aus Erfahrung, dass die Energie nach und nach wiederkommt, wenn ich eine halbe Stunde durchhalte. Deshalb hockte ich lethargisch im Baumhaus, beobachtete die ferne Straße und wartete geduldig darauf, dass ich wieder zu funktionieren begann.
Sobald ich mich daran gewöhnt hatte, dort zu sitzen, war alles okay. Ich konnte kaum glauben, dass es erst zwanzig Stunden her war, seit wir aus dem Busch in diese neue Welt getreten waren. So schnell kann sich ein Leben ändern. Eigentlich hätten wir an Veränderungen gewöhnt sein müssen. Wir hatten selbst ein paar erlebt. Dieses Baumhaus zum Beispiel. Corrie und ich hatten viele Stunden unter seinem schattigen Dach verbracht, Teepartys abgehalten, das gesellschaftliche Leben unserer Puppen organisiert, Schule gespielt, die Scherer beobachtet und getan, als wären wir festgehaltene Gefangene. Alle unsere Spiele waren Nachahmungen der Rituale und des Lebens der Erwachsenen gewesen, obwohl uns das damals natürlich nicht klar war. Dann kam der Tag, an dem wir aufhörten zu spielen. Wir hatten zwei Monate lang nicht gespielt, aber nach den ersten Ferientagen holte ich meine Puppen heraus und versuchte wieder anzufangen. Doch es war vorbei. Der Zauber wirkte nicht mehr. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern, wie wir es gemacht hatten, aber ich versuchte die Stimmung, die Geschichten, die Art, wie die Puppen sich bewegt, gedacht, gesprochen hatten, wieder einzufangen. Es war, als läse ich ein sinnloses Buch. Ich war entsetzt, weil alles so schnell vorbei gewesen war, traurig, weil ich so viel verloren hatte, und ein wenig ängstlich, weil ich nicht darauf gefasst gewesen war und nicht wusste, wie ich meine Stunden jetzt ausfüllen sollte.
Von unten kam plötzlich ein Geräusch, ich sah hinunter und erblickte Corries roten Kopf; sie begann den Baum hinaufzuklettern. Ich rutschte nach links, um Platz für sie zu machen, und einen Augenblick später schwang sie sich neben mich.
»Ich konnte nicht schlafen«, erklärte sie. »Ich musste über zu viel nachdenken.«
»Ich habe geschlafen, aber ich weiß nicht, wie.«
»Hast du schreckliche Träume gehabt?«
»Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich nie an meine Träume.«
»Da war ein gewisser Theo in der Schule ganz anders. Jeden Morgen erzählte er uns detailliert, was er in der Nacht geträumt hatte. Es war schrecklich langweilig.«
»Er ist einfach langweilig. Punkt.«
»Wo jetzt wohl alle sein mögen«, sagte Corrie. »Hoffentlich sind sie auf dem Messegelände. Hoffentlich geht es ihnen gut. Das ist alles, woran ich denken kann. Ich erinnere mich an all die Erzählungen, die wir in Geschichte über den Zweiten Weltkrieg und Kambodscha und so gelesen haben, und mein Kopf ist einfach mit Entsetzen überlastet. Und dann
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