Ein Engel an Güte (German Edition)
Schlaffheit abhob. Nach und nach glaubte er jedoch zu bemerken, dass Carmini sich insgeheim Gewalt antun musste, um diese Rolle eines Gracchus 101 aufrechtzuerhalten, und schließlich schienen ihm Taten und Worte immer mehr auseinanderzuklaffen, und in Letzteren schien etwas Unaufrichtiges zu liegen, weshalb von der Loyalität des Grafen nichts Gutes zu erhoffen war. Er ließ also seinen Mitbrüdern gegenüber etwas von seinen Zweifeln durchblicken – hätte er das doch nie getan! Ein Celio Terni, ein Milchbart, ein Nichtstuer, tapfer nur aus kindischem Übermut und im Übrigen vom venezianischen Wohlleben verweichlicht, wollte seine Stimme gegen einen solchen Volkstribun erheben! Es hätte nicht viel gefehlt, und man hätte diese Verleumdung auf Ängstlichkeit zurückgeführt und auf die Absicht, sich davonzustehlen, um seine Haut zu retten; weshalb Celio, dem Grafen gegenüber misstrauischer denn je und durch die Spötteleien seiner Kameraden nunmehr besser mit den einzelnen Vorhaben vertraut, den Entschluss fasste, bei nächstbester Gelegenheit unbedingt unter Beweis zu stellen, wie viel er, der verwöhnte Milchbart, taugte und wie viel dieser ihr gereifter und unbestechlicher Tribun.
Schon seit geraumer Zeit waren in den Provinzen der Terraferma Vorbereitungen zu einem Aufstand im Gange, womit diese sich Teilhabe an der Regierungsgewalt sichern und sich aus der schmachvollen Bevormundung lösen wollten, in der sie nun schon seit vier Jahrhunderten dahindämmerten. Mit unterschiedlichen Zielen und Mitteln hatten sich der Landadel und die erwähnte neue philosophische Sekte, in der auch andere, der venezianischen Regierung feindlich gesonnene Elemente zu brodeln begannen, zu diesem Vorhaben zusammengeschlossen. Sie hatten sich nicht nur zusammengeschlossen, sondern waren vielerorts regelrecht miteinander verschmolzen, wobei jeder der beiden Teile meinte, den anderen für die eigenen Zwecke einspannen zu können, wobei sie aber ihre gemeinsame Schwäche übersahen; die bestand nicht so sehr gegenüber der Signoria, welche bei einem Hauch des Schirokko stürzen würde, als vielmehr gegenüber dem im Müßiggang verkommenen Volk, dem Neuerungen, einerlei ob gute oder schlechte, vollkommen gleichgültig waren. Dem schenkte man aber keine Beachtung, sondern spannte, wie es so schön heißt, den Karren vor die Ochsen. Die einen wollten eine Herrschaft an sich reißen, die über eine ablehnende Mehrheit schlechterdings nicht ausgeübt werden kann; die anderen suchten nach einer Regierungsform, die von denen, über die sie ausgeübt werden sollte, weder verstanden noch gewollt wurde. Die Ersteren wollten die Menge in Sold nehmen, die Zweiten wollten sie aufwiegeln. Das Volk selbst aber in seiner vollständigen Ignoranz machte sich über die einen wie die anderen gleichermaßen lustig; und aus Anhänglichkeit gegenüber dem Althergebrachten, aus Angst vor neuen Lasten sowie aus Widerwillen gegen eine Freiheit, die ihm Mühen abverlangte, hätte das Volk, statt sie zu schüren, diese Unruhen wohl eher bekämpft, da es der verhängnisvollen Tapferkeit der Grundherren ebenso misstraute wie den ketzerischen Lehren der Sekten.
Aus purer Prahlsucht hatte Graf Fabio sich vor Jahren gerühmt, binnen vier Tagen ein Heer ausheben, am fünften Padua einnehmen und vor Ablauf des siebten Tages dort, vor den Toren Venedigs, eine Regierung einsetzen zu können, die diesen erbärmlichen Großen Rat, den Senat und den Dogen zur Abdankung zwingen würde. Seine unmittelbaren Nachbarn hatten ihm aus Dummheit geglaubt; weiter Entfernte hatten ihm, weil sie sehen wollten, wie das Experiment ausging, Hilfe in jeglicher Form zugesichert. Und so war denn dieser Plan zu einem Aufstand unter rund hundert Grafen, Marquis’, Tagedieben, entlassenen Sbirren, Scholaren und Hochstaplern ausgeheckt worden. In diesen Tagen des heftigsten verschwörerischen Eifers kam auch die Verbindung zwischen Tramontino und dem Carmini zustande, die Letzterem noch so viele Gefahren und Scherereien eintragen sollte. Da Carmini aber, wie vorhin angedeutet, dank der Ratschläge seiner Frau einen bequemeren Weg gefunden hatte, seine Ambitionen zu verwirklichen, wehrte er sich seither stets dagegen, zur offenen Revolte überzugehen, und schreckte vor einem ernsthaften Versuch umso mehr zurück, als er durch Tramontinos Aussagen all seine windigen Machenschaften aufgedeckt sah. Die Beherzteren unter seinen Gefährten drangen von allen Seiten auf ihn ein und schrien, es sei
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