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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Stipendium bewarb, damit ich «nach Übersee reisen und Erfahrungen sammeln» könne. Während wir auf den Ausgang meiner Bewerbung warteten, hatte ich nun Zeit, die Einladung einer von Franks Freundinnen, Paula Lincoln, genannt P. T. Lincoln oder Paul, in ihr Strandhaus in Mount Maunganui anzunehmen.

25
Miss Lincoln, Beatrix Potter und Dr. Donne
    Ich hatte Paula Lincoln kennengelernt, als sie Frank einmal besuchte, und ich hatte in ihr eine kleine grauhaarige Frau gesehen, die mit tränenerstickter Stimme davon sprach, wie ihr Körper sich «verändert» habe und wie sie ihres Anteils an Frieden beraubt worden sei. An jenem Nachmittag war sie sehr unglücklich. Ich konnte sehen, wie Frank von ihr abrückte und, in seiner Abneigung gegen die Zurschaustellung von Gefühlen, dem Springbrunnen unerklärlichen Elends zu entrinnen suchte, dessen zentrale Figur sie zu sein schien – die Statue, die alles abbekam.
    Wenn sie bloß damit aufhören würde, dachte ich.
    Ich spürte, dass ihre Vergangenheit mit der Franks in ihren Gefühlen verbunden war. Ich löste nie das Rätsel dieses Nachmittags. Nachdem sie gegangen war, murmelte Frank traurig, ohne weitere Erklärung: «Arme Frau. Sie regt sich so auf. Jedes Mal, wenn sie hierherkommt, regt sie sich auf. Übrigens, sie hat dich zu sich nach Mount Maunganui eingeladen, wann immer dir nach Ferien zumute ist. Arme Frau. Ich mag sie sehr.»
    Er zeigte mir ein Foto von einem jungen Frank mit drei Personen, eine davon eine kleine, hübsche dunkelhaarige Frau. «Das ist sie. Paul.»
    Er erzählte von ihrem Leben – dass sie eine berühmte Privatschule für Mädchen besucht hatte, dass sie sich von ihrer «Oberschicht»-Familie losgesagt hatte und mit dreißig nachNeuseeland gekommen war und dass sie als Physiotherapeutin und während des Krieges in der Pazifistischen Bewegung gearbeitet hatte; dass sie sich schnell für eine gute Sache begeistern konnte; wie sie sich kennengelernt hatten und wie sie sich für das Schreiben zu interessieren begann; dass eine kleine Erbschaft ihr ein privates Einkommen und die Unabhängigkeit zu schreiben ermöglichte, sie aber nur ein paar Erzählungen geschrieben hatte. Sie hatte Frank beim Bau seines Strandhauses und bei der Veröffentlichung seines ersten Buches finanziell unterstützt.
    Ich sagte, ich könne mich an ihre Erzählung in
Für uns selbst gesprochen
erinnern.
    «Sie ist ein wunderbarer Mensch», sagte Frank. «Sie ist eine Lesbierin, weißt du.»
    Obwohl mein Wissen über die Spielarten sexueller Vorlieben im Wachsen begriffen war, waren mir die Bedeutung und die Implikationen der weiblichen Homosexualität nicht bekannt, und als Frank es mir erklärte, merkte ich, dass ich es, so wie Königin Viktoria, nicht glaubte!
    Ich machte mich auf nach Mount Maunganui. Die Fahrt mit der Bahn nahm fast den ganzen Tag in Anspruch, und die Strecke gehörte damals zu einer Anzahl von Eisenbahnstrecken, auf denen die Reise so lange dauerte und so sehr ein Teil der freien Natur von Busch, Wasserfällen, Farnen und nassem Lehm war, einer glitzernden Welt der Nässe, dass das Herzstück des Landes in den Eisenbahnwaggon eindrang und das Gefühl der Einsamkeit und Fremdartigkeit einer persönlichen Erforschung hervorrief. Es waren nur wenige Reisende im Zug, manche lagen schlafend auf den Sitzen, andere, so wie ich, saßen allein auf einem Sitzplatz für zwei, alle eine Beute der wilden Welt hinter den Waggonfenstern. Einmal, als derZug anhalten musste, weil ein Erdrutsch die Geleise blockierte, schaufelten der Lokomotivführer und der Heizer und eine Draisine mit Streckenarbeitern die Geleise frei, während die Reisenden schweigend dasaßen, versunken in dem grünen Traum, und als der Zug sich schließlich in Bewegung setzte und langsam und quietschend von einer engen Kurve in die andere fuhr, wo das Regenwasser aus jeder Pore von Erde und Rinde und Blatt und Farn quoll, genossen wir das Vorrecht zu wissen – als habe man uns ein Geheimnis anvertraut –, dass dies nicht die übliche «Hauptstrecke» war, mit Haltestellen und Imbissständen und mit Städten, sondern eine «Nebenstrecke» mit all ihrer mysteriösen Abgeschiedenheit, einer unbestimmten Atmosphäre der Verbannung, wie es alle Nebenstrecken an sich haben, selbst in Träumen, Gedanken und in der Geschichte.
    Schließlich blieb der Zug in Tauranga stehen, und obwohl er durch die Landenge weiter nach Mount Maunganui fuhr, hatten wir vereinbart, dass Paula Lincoln mich in Tauranga

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