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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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aufgegeben hast, wirst du keine Furcht mehr haben.‹ Ich denke, sie passt zu diesem Ort: Wenn man alles in Ordnung gebracht hat, wird die Angst vor dem Tod immer geringer.«
    »Wie schafft man es, nichts mehr zu hoffen?«
    »Sagen wir mal so: Gil erhofft nur noch den Tod«, erwiderte der Arzt ein wenig fatalistisch. »Aber täuschen Sie sich nicht: Nicht alle Sterbenden scheiden so friedlich von dieser Welt wie er. Viele sterben im Groll, voller Wut auf ihre Krankheit.«
    »Diese Menschen kann ich besser verstehen«, bemerkte Nathan aufrichtig.
    Plötzlich verdüsterte sich seine Miene. Garrett fuhr ihn an:
    »Machen Sie nicht so ein Gesicht, Del Amico! Diese Menschen hier brauchen bedingungslose Liebe und Verständnis, aber kein Mitleid. Vergessen Sie nicht, dass wir gerade eine besondere Zeit haben: Die meisten Kranken hier wissen, dass dies ihr letztes Weihnachtsfest sein wird.«
    »Zählen Sie mich auch dazu?«, fragte der Anwalt provozierend.
    »Wer weiß?«, erwiderte Goodrich und zuckte die Schultern.
    Nathan zog es vor, das Thema zu wechseln. Eine Frage ging ihm durch den Kopf:
    »Ist das nicht frustrierend für einen Arzt wie Sie?«
    »Sie meinen, weil ich diese Leute nicht heilen kann?«
    Nathan nickte.
    »Nein«, erwiderte Goodrich. »Im Gegenteil: Es ist eine Herausforderung, weil es schwierig ist. Selbst wenn keine Aussicht auf Heilung mehr besteht, kann man den Kranken Pflege zuteil werden lassen. Die Chirurgie erfordert eine Menge Technik, aber sie appelliert nicht an das Herz. Hier liegen die Dinge anders. Wir begleiten die Kranken bis zum Schluss. Das mag lächerlich scheinen, aber es ist verdammt viel, wissen Sie. Und ehrlich gesagt:
    Es ist viel einfacher, auf dem Operationstisch an jemandem herumzuschnippeln, als ihn bis an einen dunklen Ort zu begleiten.«
    »Aber worin besteht diese Begleitung?«
    Goodrich verschränkte die Arme:
    »Das ist sehr schwierig und sehr einfach zugleich: Sie lesen dem Kranken vor, helfen ihm beim Frisieren, schütteln sein Kissen auf, gehen mit ihm im Park spazieren … Aber meistens tun Sie nichts. Sie sitzen neben ihm und teilen sein Leiden und seine Angst. Sie sind einfach für ihn da und hören ihm zu.«
    »Ich verstehe immer noch nicht, wie man sich dazu durchringen kann, den Tod zu akzeptieren.« »Den Tod zu leugnen ist auch keine Lösung! Unsere Gesellschaft hat die meisten Übergangsriten in die andere Welt verdrängt und damit das Sterben zum Tabuthema gemacht. Aus diesem Grund sind die Menschen völlig hilflos, wenn sie mit dem Tod konfrontiert werden.«
    Der Arzt schwieg eine Weile, bevor er hinzufügte: »Und dabei ist der Tod etwas ganz Normales.«
    Er hatte dies mit Nachdruck gesagt, als wollte er sich selbst davon überzeugen.
    Die beiden Männer waren jetzt wieder in der Eingangshalle angelangt. Nathan knöpfte seinen Mantel zu. Doch bevor er sich verabschiedete, hatte er noch etwas Wichtiges zu sagen:
    »Um eines klarzustellen, Garrett: Ich glaube Ihnen kein einziges Wort.«
    »Wie bitte?«
    »Alles, was Sie mir erzählt haben, Ihr Schmus über den Tod und die Boten. Ich glaube Ihnen kein Wort davon.«
    Goodrich wirkte nicht überrascht.
    »Oh, ich verstehe Sie gut: Jemand, der glaubt, sein Leben im Griff zu haben, hat keine Lust, seine Gewissheiten in Frage zu stellen.«
    »Im Übrigen möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich mich ausgezeichneter Gesundheit erfreue. Tut mir Leid für Sie, aber ich glaube, Sie haben sich geirrt: Ich bin keineswegs ein Todgeweihter.«
    »Freut mich zu hören.«
    »Ich habe mir sogar ein paar Tage Urlaub genommen.«
    »Nutzen Sie sie gut.«
    »Sie gehen mir auf die Nerven, Garrett.«
    Goodrich stand immer noch neben ihm und schaute ihn an, als versuche er ihn einzuschätzen.
    Schließlich sagte er:
    »Ich denke, Sie sollten Candice besuchen.«
    Nathan seufzte.
    »Wer ist Candice?«
    »Eine junge Frau aus Staten Island. Sie arbeitet als Kellnerin im Dolce Vita, einem Coffeeshop mitten in St.   George. Manchmal halte ich morgens dort an und trinke Kaffee.«
    Der Anwalt zuckte die Schultern.
    »Na und?«
    »Nathan, Sie haben mich sehr gut verstanden.«
    Plötzlich musste er an Kevin denken.
    »Wollen Sie mir sagen, dass sie …«
    Garrett nickte.
    »Ich glaube Ihnen nicht. Sie haben diese Frau gesehen und plötzlich, einfach so, hatten Sie eine Eingebung?«
    Garrett schwieg. Del Amico provozierte ihn weiter:
    »Und was passiert dann? Fängt ihr Kopf inmitten einer Menschenmenge plötzlich an zu blinken und im Hintergrund

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