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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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Trompetenohren.
    Dann gab Bonnie eine lange Vorstellung all der Lieder, die sie bereits auf der Violine spielen konnte, und sang auf Spanisch eine wirklich gelungene Version von Besáme mucho, die sie in der Schule gelernt hatte.
    Nathan repräsentierte ein hoch begeistertes Publikum und forderte mehrere Zugaben.
    Dann war es Zeit zum Schlafengehen.
    Er brachte sie ins Bett, und sie bat ihn, das Licht im Flur anzulassen.
    »Gute Nacht, kleines Eichhörnchen«, sagte er beim Hinausgehen. »Ich liebe dich sehr.«
    »Ich liebe dich auch sehr«, antwortete sie, »und das ist erriversibel.«
    Er brachte es nicht übers Herz, ihren Fehler zu korrigieren, und gab ihr einen letzten Kuss.
    Als er das Zimmer verließ, erinnerte er sich an jenen Tag im April 1995 in der Entbindungsstation in San Diego. An das erste Mal, als er seine kleine Tochter, die gerade das Licht der Welt erblickt hatte, im Arm gehalten hatte. Er war so bewegt und eingeschüchtert, dass er nicht wusste, wie er sich verhalten sollte. Alles, was er damals gesehen hatte, war ein winziges Baby mit zerknautschtem Gesicht, das mit geschlossenen Augen die merkwürdigsten Grimassen zog, während es mit seinen kleinen Händen herumfuchtelte.
    In diesem Moment wusste er noch nicht, welch wichtigen Platz sie eines Tages in seinem Leben einnehmen würde. Dass ihm dieses winzige Püppchen wertvoller sein würde als alles andere.
    Er ahnte wohl, dass die Vaterschaft eine radikale Veränderung in seinem Leben bewirken würde, aber er hatte keine Vorstellung davon, was sie im Hinblick auf Liebe und Gefühle bedeuten würde.
    Er wusste noch nicht, dass ein Kind ihm so viel Freude bereiten konnte.
    Auch nicht, dass der Verlust eines Kindes eines Tages eine so große Verzweiflung in ihm auslösen würde.
    Er ahnte nichts von alledem.
    Dann hatte dieser kleine zerbrechliche Engel die Augen geöffnet und ihn so intensiv betrachtet, als wolle er ihm zu verstehen geben, dass er ihn brauchen würde. Nathan hatte sich wie verwandelt gefühlt, er wurde von einer grenzenlosen Liebe zu diesem kleinen Wesen erfasst.
    Und es gibt einfach keine Worte, ein solches Glück zu beschreiben.

Kapitel 22
    Jeder Mensch ist allein, und keiner interessiert sich für den anderen, und unsere Schmerzen sind eine einsame Insel.
    Albert Cohen

    18.   Dezember
    Obwohl Nathan eigentlich keine Lust hatte, musste er das Versprechen halten, das er seiner Frau gegeben hatte: Er würde mit Bonnie für zwei Tage zu ihren Großeltern fahren.
    Er war zeitig aufgestanden. Trotz der frühen Stunde hatte er keine Bedenken, Jeffrey und Lisa Wexler anzurufen, um seine Ankunft anzukündigen. Er wusste, dass der Ausdruck »bis in die Puppen schlafen« in ihrem Vokabular nicht existierte, nicht einmal in den Ferien.
    Da Bonnie spät schlafen gegangen war, weckte er sie erst um acht Uhr. Etwa anderthalb Stunden später waren sie auf dem Weg, nachdem sie vorher noch bei Starbucks gehalten hatten, um einen großen heißen Marshmallow-Kakao zu trinken.
    Nathan hatte beschlossen, den Jeep zu nehmen, denn er war sicherer bei dem Schnee. Genau wie ihre Mutter liebte Bonnie dieses große Auto mit den riesigen Rädern. So hoch über der Straße hatte sie das Gefühl, in der Kommandozentrale eines Raumschiffs zu sitzen, das tief über der Erde flog. Seit mittlerweile beinahe dreißig Jahren verbrachten die Wexlers ihre Weihnachtsferien in den Berkshire Mountains westlich von Massachusetts. Von New York aus war die Fahrt relativ lang, aber die Landschaft mit ihren Hügelketten und den malerischen Kleinstädten auf den Kämmen war wirklich wunderschön und typisch für Neuengland. Bei Norwalk nahm er die Route sieben, passierte Great Barrington und schlug dann die Richtung nach Stockbridge ein. Er fuhr vorsichtig, denn an manchen Stellen war die Straße noch ein wenig glatt. Eine feine Pulverschneedecke lag über der Landschaft, die an ihren Augen vorbeizog.
    Um sich zu zerstreuen, legte Bonnie eine CD ein: Keith Jarrett improvisierte am Klavier ein musikalisches Thema aus dem Zauberer von Oz.
    Das kleine Mädchen begann zu trällern:
    Somewhere, over the rainbow…
    Während sie sang, bedachte sie ihn mit ihrem berühmten »Doppelblinzeln«, und er fand sie hinreißend mit der viel zu großen Baseballkappe, die sie sich übergestülpt hatte, um sich vor der blendenden Sonne zu schützen. Während er sie heimlich beobachtete, dachte er unwillkürlich, wie wunderbar es war, ein so unkompliziertes Kind zu haben. Im Grunde seines

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