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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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wenige hundert Meter von ihrem Ziel entfernt.
    Stockbridge im Zentrum der Berkshire Mountains war eine bezaubernde kleine Stadt, gegründet von den Mohikanern, zu einer Zeit, bevor die Missionare ihre Ruhe gestört hatten, weil sie sich in den Kopf gesetzt hatten, sie zu christianisieren. Die Wexlers besaßen eine Art Ranch am Ortsausgang. Es handelte sich in Wirklichkeit um ein elegantes Landhaus mit einigen Pferden und einem niedlichen Pony, das seiner Tochter viel Freude bereitete.
    Nathan hupte vor dem Tor, das mit einer Überwachungskamera ausgestattet war. Wenige Sekunden später öffneten sich die beiden Flügel, um den Jeep hereinzulassen. Ein Kiesweg führte zu dem kleinen Bungalow, in dem die Wachleute wohnten. Bei seinem letzten Besuch war er nicht einmal ausgestiegen.
    Aber dieses Mal würde es anders sein.
    Goodrich hatte ihm geraten, Frieden zu schließen, bevor er starb. Gut, er würde seine Ratschläge befolgen! Jeffrey würde etwas bekommen für sein Geld. Nathan hatte beschlossen, ihm zu offenbaren, was er noch niemandem erzählt hatte. Etwas, das seinen Ruf ruinieren und ihn aus der Anwaltskammer ausschließen konnte.
    Als er noch Jura studierte, hatte der Beruf des Anwalts eine unglaubliche Anziehung auf ihn ausgeübt. Er hatte ihn als eine Berufung betrachtet, als ein Mittel, die Schwächsten, die wie er aus einem ärmlichen Milieu stammten, zu verteidigen. Aber dieser Beruf machte nur Sinn, wenn man eine bestimmte Ethik sorgsam beachtete. Das hatte Nathan immer getan … mit einer Ausnahme.
    Er schloss die Tür seines Wagens hinter sich. Die Sonne stand hoch am Himmel, und der Wind trieb ein paar kleine ockerfarbene Staubwolken vor sich her.
    Von weitem entdeckte er Jeffrey, der ohne Eile auf sie zukam.
    Bonnie, die sich immer über alles freute, lief ihrem Großvater entgegen und kreischte vor Freude. Bald war auch Nathan nur noch wenige Schritte von Wexler entfernt.
    Während er seinem Schwiegervater in die Augen schaute, dachte er dasselbe wie immer: Mallory hatte große Ähnlichkeit mit Jeffrey. Sie hatte dieselben hellblauen Augen, dasselbe elegante, rassige Gesicht.
    Ja, Mallory ähnelte ihrem Vater sehr. Was auch erklärte, dass Nathan ihn trotz all seiner Wut niemals hassen konnte.
    Bei seiner Ankunft hatte Nathan darauf bestanden, ein Gespräch mit Jeffrey zu führen, und nun saßen sie allein in seinem Büro. Nur sie beide.
    Ich und er.
    Mit einem Feuerzeug zündete sich Wexler eine von den kurzen dicken Zigarren an, die er zu jeder Tageszeit zu rauchen pflegte. Er atmete den Rauch in kurzen Zügen ein, während Nathan seinen Kennerblick über die Regale voller ledergebundener berühmter Werke der Rechtsprechung schweifen ließ.
    Jeffrey hatte sein Büro wie eine kleine Bibliothek eingerichtet. Grüngoldene Lampen beleuchteten wertvolle alte Holzmöbel, der riesige Arbeitstisch war von Aktenstapeln und Kartons mit Disketten übersät, zwei Laptops waren auf Database eingeschaltet. Wenige Monate vor seinem offiziellen Rückzug war Jeffrey unbestreitbar noch ein sehr aktiver Mensch.
    Sein Leben hatte einen merkwürdigen Verlauf genommen. In jungen Jahren hatte er hervorragend Baseball gespielt, musste aber nach einem Sturz bei einer Radwanderung in den Bergen auf seinen Lieblingssport verzichten. Dieser schwere Unfall – Schädelbruch – zwang ihn, seine Energie auf das Studium zu konzentrieren. Als Promotionsbester in Harvard hatte er anfangs für einen Richter gearbeitet, bevor er in eine der angesehensten Bostoner Anwaltskanzleien aufgenommen wurde. Weil er ein Gespür dafür besaß, woher der Wind wehte, hatte er sich in den letzten Jahren um seine eigene Karriere gekümmert und sich auf Sammelklagen spezialisiert. Er hatte schließlich die Arbeiter der Schiffswerften, die dem Asbest ausgesetzt waren, mit Erfolg verteidigt. In der Folge hatte er ein Vermögen damit verdient, die Tabakindustrie dazu zu zwingen, an die Tabak-Opfer hohe Entschädigungen zu zahlen. Vor zwei Jahren hatte er eine neue Schlacht begonnen: Er strengte einen Prozess im Namen der Opfer von Hirntumoren an, die die Mobiltelefonhersteller auf Schadenersatz verklagten, weil sie ihnen die Risiken der elektromagnetischen Strahlungen verheimlicht hatten.
    Das eine musste Nathan seinem Schwiegervater lassen: Er war ein ausgezeichneter Jurist, einer der letzten Anwälte alter Schule, ein Nostalgiker jener fernen Zeit, in der die Männer des Gesetzes vor allem aus Überzeugung – und nicht des Profits wegen –

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