Ein Erzfeind zum Verlieben
und drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. »In beiden Punkten brauchst du dir keinerlei Sorgen zu machen.«
Sie seufzte glücklich. »Ausgezeichnet. Jetzt setz dich wieder. Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen.«
»Mutter …«
»Wäre es meiner Sache dienlich, wenn ich das Thema eines Erben täglich ansprechen würde?«
»Nein.«
»Das dachte ich mir. Nun ja. Aber deswegen bin ich nicht hier.«
»Weshalb dann? Auch wenn du mir natürlich willkommen bist.«
»Es freut mich, das zu hören. Jetzt setz dich endlich.« Sie zog die Hand zurück und gab ihm ungeduldig einen Wink.
Whit, ganz der gehorsame, wenn auch etwas bedrängte Sohn, kehrte zu seinem Platz zurück und sah sie fragend an. Sie kam gleich zur Sache.
»Es ist an der Zeit, dass du deine Differenzen mit Mirabelle beilegst.«
Whit war sofort auf der Hut. »Hat sie etwas zu dir gesagt?«
Das sah dem Kobold gar nicht ähnlich, dachte er. Sie hatte sich bei seiner Mutter noch nie über ihre Streitereien beklagt. Zwar kündigte sie es regelmäßig an, aber sie hatte die Drohung noch nie in die Tat umgesetzt.
»Nein«, erwiderte Lady Thurston, und ihre Augen wurden schmal. »Hätte sie das tun sollen?«
Whit hielt es für das Beste, nicht darauf zu antworten. »Deine Bitte überrascht mich, das ist alles.«
Sie sah ihn lange an, bevor sie antwortete. »Es ist keine Bitte, Whittaker«, erklärte sie kühl. »Mir zuliebe vertragt ihr euch, wenn ich zugegen bin, aber ich bin keine Närrin. Die ganze vornehme Gesellschaft weiß über euer feindseliges Verhältnis Bescheid.«
Whit zog die Brauen zusammen. »Man sollte meinen, die Leute hätten interessantere Dinge zu erörtern.« Mittlerweile jedenfalls, fügte er im Stillen hinzu. Die Feindschaft zwischen Mirabelle und ihm war seit Langem bekannt.
»Abgesehen von Armut, Unterdrückung und Ungerechtigkeit gibt es nichts, was so unbedeutend wäre, dass die gute Gesellschaft es nicht bemerken würde«, entgegnete Lady Thurston trocken, »und die unübersehbare Abneigung eines Grafen gegenüber einer unverheirateten jungen Dame ist stets Stoff für Klatsch. Ich habe euch beide euren kleinen Zankereien überlassen, weil es dir guttut, von Zeit zu Zeit die Beherrschung zu verlieren, und weil Mirabelle nicht ungebührlich darunter zu leiden scheint, aber …«
»Was meinst du mit ungebührlich?«, warf Whit ein. »Ich habe niemals …«
»Die Hand gegen sie erhoben? Sie öffentlich gedemütigt, seit sie erwachsen ist? Ja, das weiß ich.«
»Dasselbe kann man von ihr wohl kaum behaupten«, sagte er in Erinnerung an mehrere Verletzungen, die er durch ihre Hand erlitten hatte.
Sie deutete ein Nicken an. »Das ist mir bewusst. Es ist ein weiterer Grund, warum ich gezögert habe einzugreifen. In deinem leidenschaftlichen Bestreben, das Gegenteil deines Vaters zu werden, wirst du mitunter etwas selbstgerecht. Ich bewundere dich wirklich, Whit, aber es ist nicht gesund, den kriecherischen Respekt und die Bewunderung jedes menschlichen Wesens zu haben, das deinen Weg kreuzt. Mirabelle tut dir gut.«
»Sie hat mir die Nase gebrochen«, ließ er sie knurrend wissen.
»Tatsächlich?« Mit unverhohlenem Interesse richtete sie sich auf ihrem Stuhl auf. »Tatsächlich?«
»Zweimal.«
Lady Thurston dachte kurz darüber nach. »Möchtest du mir vielleicht erzählen, warum?«
Whit hätte beinahe das Gesicht verzogen. Beim ersten Mal, vor zehn Jahren, war es eine Billardkugel gewesen – als Vergeltung für eine höchst anzügliche Bemerkung seinerseits, als Mirabelle in ein Trinkgelage mit seinem Freund Alex geplatzt war. Das zweite Mal war ihre Rache für seinen Versuch gewesen, sie während einer Gesellschaft in der Bibliothek einzusperren.
Whit rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. »Ich muss zugeben, es gab gewisse mildernde Umstände.«
»Das dachte ich mir bereits. Du verlierst ihr gegenüber zuweilen die Beherrschung. Das tut dir gut.«
Whit reagierte mit einem Stirnrunzeln auf ihre Einschätzung. Er wollte in Gegenwart des Kobolds nicht die Kontrolle verlieren. Er wollte die Kontrolle überhaupt nicht verlieren. Er hatte sich Mühe gegeben, den Schaden wiedergutzumachen, der durch die Skandale seines Vaters entstanden war, und die finanziellen Schwierigkeiten zu überwinden, in denen der Mann die Familie zurückgelassen hatte. Whit hatte zu hart dafür gearbeitet, als dass er das alles durch aufbrausendes Gebaren hätte ruinieren wollen.
Der Grafentitel der Thurstons
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