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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Pásztor
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zu seinem Meditationslehrer mitgenommen hatte. Es sah irgendwie nicht gut aus für uns.
    Eine Weile starrte ich noch auf das Muster vor meinen Füßen und versuchte mit meiner reinen Willenskraft, den Sand wieder zu glätten. Dann fand ich, dass es höchste Zeit war, diesen Spielplatz wieder zu verlassen. Mein Weg führte an der Bank vorbei, und für alle Fälle sagte ich laut und deutlich »Auf Wiedersehen«, als ich auf gleicher Höhe mit den beiden alten Leuten war. Sie sahen von ihrer Zeitung auf und nickten mir etwas verwundert zu. Sie taten es fast völlig synchron. Ich klopfte mir noch etwas Sand von der Hose, verabschiedete mich von der kranken Goethe-Kastanie und ging.
    Auf der Straße setzte ich mir die Kopfhörer auf und entschied mich für Musik von Portishead, weil ich so deprimiert war und es gerne noch ein bisschen bleiben wollte. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust mehr, weiter herumzulaufen. Ich wandte mich unentschlossen nach links, dann wieder nach rechts und dann ein Stück geradeaus. Vielleicht sollte ich besser zum Hotel zurückgehen. Vielleicht sollte ich auch die Schule wechseln oder endlich ein Instrument lernen, Nasenflöte zum Beispiel. Im Schaufenster neben mir lag ein ganzer Haufen davon. Ich hätte sie eher für Wandhaken oder Spezialschnuller gehalten, aber auf dem Schild daneben stand eindeutig »Nasenflöten«, und allein schon dieser Name war ein Geschenk. Ich sah mir das Schaufenster genauer an. Es gab schwimmende Glücksblüten, ein magisches Rosenfeuerwerk, einen Spider Catcher, mit dem man Spinnen lebendig einfangen konnte, ohne sie berühren zu müssen, und einen Wecker auf Rädern, der nach dem Klingeln eigenmächtig abhaute. Ungefähr so mussten die Gewinne bei einem Kindergeburtstag für Erwachsene aussehen. Vor dem Eingang stand eine Kiste mit der Aufschrift »Asiatische Himmelslaternen – lassen Sie Ihre Wünsche in den Himmel steigen. 10 Stück nur 35 Euro«. Auf einem Bild sah man Hunderte von Laternen im dunklen Nachthimmel schweben. Ich hatte eine Idee.
    Die Eingangstür war angelehnt. Ich stellte meine Musik aus und betrat das Geschäft. Es war nur spärlich beleuchtet. Hinter dem Verkaufstresen saß ein Mädchen und las einen Manga-Comic.
    »Wir haben schon zu«, sagte das Mädchen, ohne aufzusehen.
    »Ich möchte so eine Wunschlaterne kaufen«, sagte ich. »Bitte, ausnahmsweise.«
    »Die gibt es aber nur im Zehnerpack.« Sie klappte ihr Heft zu und sah mich an. Sie war Thailänderin und etwa so alt wie ich, vielleicht auch zehn Jahre älter, ich konnte es nicht sagen. Ihr Pony war so gerade abgeschnitten, dass er aussah wie ein schwarzes Stirnband. »Für deine Party, was?«
    »Zehn sind mir zu teuer«, sagte ich. »Ich brauch wirklich nur eine.«
    »Zehn Stück für 35 Euro«, wiederholte sie. »Superqualität. Fliegen mindestens zehn Minuten lang.«
    »Kannst du mir nicht eine einzelne davon verkaufen?«
    Handeln hatte noch nie zu meinen Stärken gezählt. Betteln auch nicht. Sollte ich ihr etwa meine ganze Familiengeschichte erzählen, damit sie das Ding rausrückte?
    »Geht nicht.« Sie legte den Kopf schief und schaute mich herausfordernd an. »Eine allein ist viel zu schwach.«
    Sie wollte tatsächlich die Geschichte. »Pass auf«, sagte ich. »Du kennst doch dieses ehemalige KZ hier in der Nähe, Buchenwald?«
    Sie nickte und ließ mich nicht aus den Augen.
    »Mein Großvater war dort. Er war Jude. Seine ganze Familie ist umgebracht worden, nur er hat überlebt. Morgen wäre sein hundertster Geburtstag gewesen. Ich möchte so eine Laterne für ihn haben. Ich würde dir gern sechs Millionen von den Dingern abkaufen, aber mein Geld reicht leider höchstens für eine.«
    »Oh«, sagte sie. Dann überlegte sie einen Moment.
    »Als ich vorhin die Pakete mit den Laternen wieder reinholen wollte, fehlte eins«, sagte sie dann. »Ich schätze, das wurde geklaut. Ich kann meine Augen nicht überall haben. Niemand kann das.«
    »Nee, ganz sicher nicht«, sagte ich.
    Wir gingen zusammen zur Tür, und sie nahm ein Laternenpaket und drückte es mir in die Hand. »Das mit den Wünschen ist sowieso Quatsch«, sagte sie. »In Wirklichkeit sind das Laternen für die Toten, aber das verkauft sich nicht so gut.«
    »Danke«, sagte ich. »Werden dir geklaute Sachen nicht vom Lohn abgezogen?«
    Sie schüttelte den Kopf, aber ihre Ponyfransen blieben an Ort und Stelle. »Kein Problem.«
    »Dann möchte ich wenigstens die eine bezahlen«, sagte ich und fand, dass ich wie

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