Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)
zu verbringen.«
»Oh, klasse«, sagte ich und trat zur Seite. Gabor ging ein paar Schritte ins Zimmer hinein und hob seine Tüten hoch, als müsse er noch einmal beweisen, dass er unbewaffnet und in friedlicher Mission gekommen war.
»Könnte ich die vielleicht irgendwo …«
»Moment«, sagte Hannah, nahm den Kübel mit den Blumen vom Tisch und verfrachtete ihn nach kurzem Überlegen ins Bad.
»Gute Idee«, sagte meine Mutter. Es klang, als meinte sie Gabors Einkäufe, aber ich glaube, in Wirklichkeit war sie vor allem froh, dass ihr der Anblick von Edgars Monsterstrauß erspart blieb.
Gabor stellte seine Tüten ab und begann sie auszupacken. »Ich wusste nicht, ob ihr vielleicht lieber unter euch bleiben wolltet«, sagte er. »Aber dann habe ich gedacht …«
»Wollten wir nicht«, sagte Hannah. »Wir haben einfach nicht auf die Zeit geachtet. Sorry.«
»Ist schon gut, auf diese Weise konnte ich mich mal ein bisschen nützlich machen«, antwortete Gabor und stellte zwei Flaschen Rotwein auf den Tisch. Es folgten drei Flaschen Wasser und dann die obligatorische Kinder-Cola, mit Sicherheit für mich. Ich mag keine Cola. Aber jetzt: belegte Baguettes. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
»Ihr mögt doch so was, nicht?«, fragte Gabor fast glücklich.
Ich sah, wie meine Mutter und Hannah Blicke tauschten. Den von meiner Mutter kannte ich gut, er hieß: Wag es ja nicht, einen neuen Streit anzuzetteln. Hannahs Blick wurde begleitet von einem strahlenden Lächeln und ließ befürchten, dass Watson keinesfalls die Absicht hatte, Holmes’ Anweisungen zu befolgen.
»Ich meine, ich hab ja bisher noch nicht viel zu unserem Familienfest beigetragen«, fuhr Gabor fort und stülpte die zweite Papiertüte um, sodass ein Satz Plastikgabeln und -messer auf die belegten Brote prasselte, gefolgt von Servietten. Danach faltete er sorgfältig beide Tüten zusammen, bis sie wie akkurate kleine Quadrate aussahen.
»Tja dann …«, sagte er.
Plötzlich begannen wir alle gleichzeitig aktiv zu werden. Meine Mutter öffnete die Weinflasche mit einem klapprigen Korkenzieher, der zur Zimmerausstattung gehörte, während Hannah die beiden Trinkgläser mit zwei Zahnputzbechern aus dem Bad ergänzte und ich die Brote auf einer ausgebreiteten Serviette arrangierte. Wofür die Messer und Gabeln gedacht waren, blieb unklar. Hannah bot Gabor den einzigen Stuhl an und ließ sich auf dem Sessel nieder. Meine Mutter saß auf der Bettkante und schenkte Wein aus, und ich hockte mich auf den Boden.
»Für mich bitte nicht, ich nehme lieber Wasser«, sagte Gabor. »Eigentlich trinke ich höchstens einmal im Jahr ein Glas Wein. Ich weiß noch nicht, ob heute dieser Tag ist.«
»Bei mir ist es umgekehrt«, sagte Hannah. »Ich weiß genau, dass heute nicht der Tag ist, an dem ich keinen trinke.«
»Na dann Prost«, sagte meine Mutter.
»Mögen alle Wesen glücklich sein«, fügte ich hinzu und hob mein Wasserglas.
»Lechaim«, sagte Hannah mit Nachdruck.
Eine Weile lang saßen wir friedlich beieinander und aßen unsere Brote. Sagen wir: Es war so friedlich, wie es nur sein konnte, wenn man wusste, dass Hannah noch irgendwo ein Ass im Ärmel hatte.
»Und?«, fragte Gabor und wischte mit der einen Hand sorgfältig ein paar Krümel von der Hose, die er mit seiner anderen Hand ebenso gewissenhaft auffing. »Habt ihr schon weitere neue Erkenntnisse über unseren Vater dazugewonnen?«
»Wir überlassen von jetzt an Lily die Recherche und enthalten uns weiterer fragwürdiger Spekulationen«, sagte meine Mutter und klang sehr entschlossen.
»Aber warum denn?« Hannahs Augen funkelten begeistert. »Lily wird sich um das Archiv kümmern, das ist klar. Aber ich sehe da noch eine weitere Möglichkeit, der ich gerne nachgehen würde.«
»Und die wäre?« Was bei Hannah Begeisterung auslöste, versetzte meine Mutter in höchste Alarmbereitschaft. Auch Gabor ließ sein angebissenes Brot sinken und sah Hannah misstrauisch an.
»Ach, eigentlich nur eine Kleinigkeit«, sagte Hannah und schenkte Gabor ihr schönstes Lächeln. »Wärest du vielleicht so nett, mir eine Speichelprobe zu spendieren?«
13
GABOR ZWINKERTE UNGLÄUBIG . Meine Mutter verdrehte die Augen. Keiner sagte etwas. Ich hielt es für ausgeschlossen, dass Hannah Gabor als Serienmörder überführen oder einen Vaterschaftstest mit ihm machen wollte, aber mehr Einsatzmöglichkeiten für Speichelproben fielen mir im Moment nicht ein. Meine Mutter sah aus, als wüsste sie noch ein paar,
Weitere Kostenlose Bücher