Ein Fall für Kay Scarpetta
Mann mit langen, knochigen Extremitäten und einem unproportionierten, runden Bauch. Sein Kopf hatte bedenkenswert viel Ähnlichkeit mit einer Glühbirne, seine Augen waren verwaschen blau und abwesend verschleiert. In meinem ersten Winter hier kam er an einem späten Nachmittag zu mir ins Büro, um mir mitzuteilen, daß es schneite. Ein langer, roter Schal war um seinen Hals geschlungen und über seine Ohren war eine lederne Pilotenmütze gezogen, wahrscheinlich aus einem Banana-Republic-Katalog bestellt und der wahrhaftig lächerlichste Winterhut, den ich je gesehen hatte. Ich schätze, er würde perfekt in einen Kampfflieger passen. "Der fliegende Holländer", nannten wir ihn im Büro. Er war ständig in Eile, hetzte die Gänge auf und ab, sein Kittel wehte um seine Beine.
"Haben Sie in die Zeitung gesehen?" fragte er und blies auf seinen Kaffee.
"Die ganze gottverdammte Welt hat in die Zeitung gesehen", antwortete ich ärgerlich.
Die erste Seite der Sonntagsausgabe war schlimmer als die Abendzeitung vom Samstag. Die Schlagzeile zog sich über die ganze Breite des oberen Teils der Seite, die Buchstaben waren ungefähr drei Zentimeter groß. Der Bericht beinhaltete einen kleinen Abschnitt über Lori Petersen und ein Foto, das aussah, als käme es aus einem High-School-Jahrbuch. Abby Turnbull war aggressiv genug, wenn nicht sogar geschmacklos, ein Interview mit Lori Petersens Familie zu versuchen, die in Philadelphia lebte und "zu verzweifelt, um einen Kommentar abzugeben" war.
"Das hilft uns keinen Deut weiter", sprach Vander das Naheliegende aus.
"Ich wüßte zu gern, woher die Information kommt, damit ich ein paar Leuten die Daumenschrauben anlegen könnte."
"Die Cops haben noch nicht gelernt, ihr Maul zu halten", antwortete ich. "Wenn sie lernen, ihre Lippen zu verschließen, werden sie nicht mehr über undichte Stellen jammern müssen."
"Na ja, vielleicht sind's die Cops. Wie auch immer, die Sache macht meine Frau verrückt. Ich glaube, wenn wir in der Stadt wohnen würden, würde sie noch heute umziehen wollen."
Er ging zu seinem Tisch, auf dem ein wildes Durcheinander von Computerausdrucken, Fotos und Telefonnotizen lag. Es gab eine kleine Bierflasche und ein Teppichmuster mit einem Schuhabdruck aus getrocknetem Blut, beides in Plastiktüten mit Schildern als Beweismaterial gekennzeichnet. Abseits standen zehn kleine Dosen mit Formalin, jede enthielt eine verkohlte, menschliche Fingerspitze, abgetrennt am zweiten Gelenk. In Fällen nicht identifizierter Leichen, die total verbrannt oder verfault sind, ist es nicht immer möglich, Fingerabdrücke auf die herkömmliche Art zu gewinnen. Inmitten dieses makabren Durcheinanders stand eine Flasche mit Intensivpflegelotion.
Vander rieb einige Tropfen der Lotion in seine Hände und zog dann ein paar weiße Baumwollhandschuhe an. Das Aceton, Xylen und das ständige Händewaschen, das in diesem Job nötig ist, hatten seine Haut aufgerauht, und ich konnte immer sagen, wann er vergessen hatte, die Handschuhe anzuziehen, weil er dann eine Woche lang mit knallroten Händen herumlief. Nachdem sein Morgenritual vollendet war, bedeutete er mir, ihm in den Gang des vierten Stocks zu folgen.
Mehrere Türen weiter lag das Computerzimmer, sauber, fast steril, und angefüllt mit Computern verschiedener Formen und Größen. Eines dieser Geräte war der Vergleichsprozessor für Fingerabdrücke. Er hatte die Funktion, unbekannte Fingerabdrücke mit den Millionen von Fingerabdrücken, die auf einer Diskette gespeichert waren, zu vergleichen. Der FMP, wie man ihn nannte, mit seinen Leitungen und parallelen Arbeitsgängen konnte achthundert Paare pro Sekunde vergleichen. Vander saß nicht gern herum, um auf die Ergebnisse zu warten. Es war seine Gewohnheit, die Maschine über Nacht arbeiten zu lassen, damit er sich auf etwas freuen konnte, wenn er am nächsten Morgen ins Labor kam. Der zeitaufwendigste Arbeitsabschnitt war der, den Vander am Samstag durchgeführt hatte, die Abdrücke in den Computer einzugeben. Dafür mußte er Fotos der möglichen Abdruckmuster machen, sie fünffach vergrößern, ein Blatt Pauspapier über jedes Foto legen und mit einem Filzstift die markantesten Merkmale nachzeichnen. Dann reduzierte er das Bild wieder auf die Größe, die dem Originalabdruck entsprach. Er klebte das Foto auf ein Blatt mit dem Layout für Abdruckspuren, das er dann in den Computer gab. Nun mußten nur noch die Ergebnisse ausgedruckt werden. Vander setzte sich wie ein
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