Ein Fall für Kay Scarpetta
"Hören Sie auf!"
Er ignorierte sie. "Boltz brachte Sie nicht zur Redaktion. Sehen Sie, er brachte Sie zu Ihrem Haus, und als ich ein paar Stunden später wieder vorbeifahre - Bingo! Der hübsche weiße Audi ist immer noch da, alle Lichter im Haus sind aus. Wie finden Sie das? Gleich danach erscheinen diese pikanten Details in Ihren Artikeln. Ich schätze, das ist Ihre Definition von Geschäftsbeziehung."
Abby zitterte am ganzen Körper, ihr Gesicht war in den Händen vergraben. Ich konnte sie nicht ansehen. Ich konnte Marino nicht ansehen. Ich war so aus dem Gleichgewicht geraten, daß ich es kaum richtig begriff - diese Grausamkeit von ihm, sie jetzt damit zu quälen.
"Ich habe nicht mit ihm geschlafen." Ihre Stimme zitterte so sehr, daß sie fast nicht reden konnte. "Ich tat es nicht. Ich wollte es nicht. Er ... er hat mich ausgenützt."
"Klar", knurrte Marino.
Sie schloß kurz ihre Augen. "Ich war den ganzen Tag mit ihm zusammengewesen. Der letzte Termin ging bis sieben Uhr an jenem Abend. Ich lud ihn zum Abendessen ein, sagte, die Zeitung würde es bezahlen. Wir gingen zu Franco's. Ich trank ein Glas Wein, das war alles. Ein Glas. Mir wurde plötzlich schwindelig, einfach unglaublich schwindelig. Ich kann mich kaum mehr erinnern, wie wir aus dem Restaurant hinausgegangen sind. Das letzte, an das ich mich erinnere, ist, daß ich in sein Auto gestiegen bin, daß er nach meiner Hand griff und etwas sagte, wie er habe es noch nie mit einer Polizeireporterin getrieben oder so. Was dann in jener Nacht passierte... ich kann mich an nichts erinnern. Ich wachte früh am nächsten Morgen auf. Er war noch da ... "
"Was mich an etwas erinnert." Marino drückte die Zigarette aus. "Wo war Ihre Schwester zu der Zeit?"
"Hier. Sie war in ihrem Zimmer, nehme ich an. Ich erinnere mich nicht. Es ist egal. Wir waren unten. Im Wohnzimmer. Auf der Couch, auf dem Boden, ich weiß es nicht mehr - ich bin nicht sicher, ob sie es überhaupt wußte."
Er sah angewidert aus.
Sie fuhr hysterisch fort: "Ich konnte es nicht glauben. Ich war entsetzt, mir war schlecht, als wäre ich vergiftet worden. Das einzige, das ich mir vorstellen kann, ist, daß er mir etwas in den Drink gegeben hat, während ich einmal auf der Damentoilette war. Er wußte, daß er mich in der Hand hatte. Er wußte, daß ich nicht zu den Cops gehen würde. Wer würde mir glauben, wenn ich anrufe und sagen würde, daß der Oberste Staatsanwalt... daß er so etwas getan hat? Niemand! Niemand würde mir glauben!"
"Da haben Sie ganz recht", warf Marino ein. "Hey, er ist ein gutaussehender Kerl. Er braucht einer Lady keine Pillen in den Drink zu werfen, damit sie weich wird."
Abby schrie: "Er ist ein Dreckskerl! Er hat es wahrscheinlich schon tausendmal gemacht und ist damit davongekommen! Er drohte mir, sagte, wenn ich etwas erzählen würde, würde er mich fertigmachen, würde er mich ruinieren!"
"Und dann?" fragte Marino. "Hat er sich dann schuldig gefühlt und angefangen, Ihnen Informationen zu liefern?"
"Nein! Ich hatte nichts mit diesem Bastard zu tun! Wenn ich drei Meter an ihn herankomme, laufe ich Gefahr, ihm seinen gottverdammten Schädel einzuschlagen! Keine meiner Informationen stammte von ihm!"
Es konnte einfach nicht stimmen.
Was Abby da sagte, konnte nicht stimmen. Ich versuchte aus meinem Kopf zu löschen, was sie gesagt hatte. Es war schrecklich, aber es paßte trotzdem, auch wenn ich mich innerlich noch so verzweifelt bemühte, es abzuleugnen. Sie mußte Bills weißen Audi vor meinem Haus bemerkt haben. Deshalb geriet sie in Panik, als sie ihn in meiner Einfahrt geparkt sah. Vor einigen Minuten war sie Bill hier in ihrem Haus begegnet und hatte ihn angeschrien, daß er gehen sollte, weil sie bereits seinen Anblick haßte.
Bill hatte mich gewarnt, daß sie vor nichts zurückschrecken würde, daß sie rachsüchtig war, opportunistisch und gefährlich. Warum hatte er mir all das erzählt? Was war der wirkliche Grund gewesen? Legte er den Grundstock zu seiner eigenen Verteidigung, falls Abby ihn jemals anklagen würde? Er hatte mich angelogen. Er hatte ihre sogenannten Annäherungsversuche nicht abgewehrt, als er sie nach dem Interview zu ihrem Haus gebracht hatte. Sein Auto stand am nächsten Tag immer noch dort - Bilder blitzten durch meinen Kopf, von den wenigen Gelegenheiten am Anfang, als Bill und ich zusammen auf meiner Wohnzimmercouch lagen. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken an seine plötzliche Aggressivität, an die rohe brutale Gewalt,
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