Ein Fall für Kay Scarpetta
reden. Irgend etwas ist schiefgelaufen, und deshalb werden alle Anrufe an Amburgey weitergeleitet. Ich wollte Sie fragen! Und nun sagt man, daß Sie die Serologie in dem Fall der Chirurgin ... in Lori Pe tersens Fall durcheinandergebracht haben. Ihr Labor soll die ganze Untersuchung vermasselt haben, und es ist vielleicht Ihre Schuld, daß die Cops den Mörder noch nicht haben ..." Sie war wütend und unsicher und starrte mich an. "Ich muß wissen, ob das stimmt. Ich muß es wissen! Ich muß wissen, was mit meiner Schwester geschieht!"
Woher wußte sie von dem falsch gekennzeichneten PERK? Betty hatte es ihr sicher nicht gesagt. Aber Betty hatte ihre Untersuchungen mit den Objektträgern beendet, und die Kopien - alle Kopien von allen Laborberichten - wurden direkt an Amburgey geschickt. Hatte er es Abby erzählt? Hatte jemand aus seinem Büro es ihr erzählt? Hatte er es Tanner erzählt? Hatte er es Bill erzählt?
"Wo haben Sie das gehört?"
"Ich höre vieles." Ihre Stimme zitterte.
Ich sah in ihr leidvolles Gesicht, auf ihren von Trauer und Schrecken zusammengesunkenen Körper.
"Abby", sagte ich ganz ruhig, "ich bin sicher, daß Sie eine Menge hören. Ich bin auch sicher, daß vieles davon nicht wahr ist. Oder selbst wenn darin ein Funke Wahrheit steckt, dann ist die Interpretation falsch, und vielleicht sollten Sie sich selbst fragen, warum jemand Ihnen diese Dinge erzählt und was das wahre Motiv dieser Person sein könnte."
Sie zögerte. "Ich will nur wissen, ob es stimmt, was ich gehört habe. Ob Ihr Department Fehler gemacht hat."
Ich wußte nicht, was ich antworten sollte.
"Ich werde es sowieso herausbekommen, das sage ich Ihnen. Unterschätzen Sie mich nicht, Dr. Scarpetta. Die Polizei hat lange genug alles vermasselt. Denken Sie nicht, daß ich es nicht weiß. Sie haben es bei mir vermasselt, als dieser verdammte Kerl mich bis nach Hause verfolgte. Und sie haben es bei Lori Petersen vermasselt, als sie die 911 wählte und fast eine Stunde lang niemand reagierte. Und dann war sie tot!"
Meine Überraschung war mir anzusehen.
"Wenn das herauskommt", fuhr sie fort, ihre Augen glänzten vor Tränen und Zorn, "dann wird die Stadt den Tag verdammen, an dem ich zur Welt gekommen bin! Die Leute werden bezahlen! Ich werde alles tun, damit diese Leute bezahlen, und wollen Sie wissen, warum?"
Ich starrte sie stumm an.
"Weil keiner von denen, die es sollten, sich darum schert, daß Frauen vergewaltigt und ermordet werden! Dieselben Kerle, die an den Fällen arbeiten, fahren aus der Stadt und schauen sich Filme über Frauen an, die vergewaltigt, erwürgt und ermordet werden. Sie finden es sexy. Sie schauen sich solche Dinge in Magazinen an. Sie haben Phantasien. Sie geraten wahrscheinlich in Ekstase, wenn sie die Tatfotos ansehen. Die Bullen. Sie machen Witze darüber ... Ich kann es hören. Ich kann hören, wie sie an den Tatorten lachen, wie sie im Revier lachen!"
"Sie meinen es nicht so." Mein Mund war trocken. "Das ist ihre Art, damit klarzukommen."
Schritte kamen die Treppe hoch. Sie sah flüchtig zur Tür, griff in ihre Tasche und holte flink eine Visitenkarte heraus, auf die sie eine Nummer schrieb.
"Bitte. Wenn es etwas gibt, was Sie mir sagen können, wenn Sie es - es getan haben ..." Sie holte tief Luft. "Werden Sie mich anrufen?" Sie reichte mir die Karte. "Die Nummer meines Büros steht darauf, ich werde verständigt werden. Ich weiß nicht, wo ich sein werde. Nicht in diesem Haus. In der nächsten Zeit nicht. Vielleicht nie mehr."
Marino kam zurück.
Abbys Blick durchbohrte ihn. "Ich weiß, was Sie fragen werden", sagte sie, als er die Tür schloß. "Und die Antwort ist nein. Es gibt keine Männer in Hennas Leben, niemand hier in Richmond. Sie hat niemanden getroffen, sie ha t mit niemandem geschlafen."
Wortlos legte er ein neues Band ein und drückte auf den Aufnahmeknopf.
Er sah sie an. "Und wie ist es bei Ihnen, Miss Turnbull?"
Der Atem stockte ihr. Sie stammelte: "Ich habe eine enge Beziehung zu jemandem in New York. Niemand hier. Alles nur Geschäftsbeziehungen."
"Ich verstehe. Und was genau ist Ihre Definition von einer Geschäftsbeziehung?"
"Was meinen Sie?" Ihre Augen weiteten sich vor Angst.
Er sah einen Moment lang nachdenklich aus, dann sagte er beiläufig: "Was ich mich frage, ist, ob Sie gemerkt haben, daß dieser Kerl, der Sie an jenem Abend bis nach Hause verfolgt hat, Sie tatsächlich schon seit mehreren Wochen beobachtet hat. Der Typ in dem schwarzen Cougar. Nun, er
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