Ein Fall für Nummer 28
Jungen
bellend entgegen und schleckte ihm die Hand ab.
»Hey, Bummbrett«, rief Fiede erfreut.
Nadeshda hielt die Luft an. Wenn er sie nicht bemerkte, streichelte er vielleicht nur den Hund und ging dann einfach weiter.
»Bist du denn ganz allein hier, Bummbrett?«, fragteFiede. »Nadeshda?«, mit fragendem Gesichtsausdruck schaute er genau in Nadeshdas Richtung.
»Ja«, sagte Nadeshda. Was blieb ihr anderes übrig? Sie hätte schwören können, dass dieser Fiede doch sehen konnte.
»Das ist ja super, dass ich dich hier treffe!«, grinste Fiede und setzte sich neben sie auf die Treppenstufen. Eine kurze
Pause entstand. »Sag mal, wie siehst du eigentlich aus?«, fragte Fiede schließlich.
Genial, dachte Nadeshda. Nun konnte sie testen, ob der Junge wirklich nichts sah. Sie schaute sich schnell um, ob niemand
in der Nähe war, der mithören konnte. »Also ich, ich habe grüne Augen und knallrote Haare und das ganze Gesicht voller Sommersprossen«,
log sie, denn schon immer hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als so auszusehen.
»Wow«, sagte Fiede bewundernd, »dann siehst du ja aus wie Pippi Langstrumpf!«
»Genau so!«, bestätigte Nadeshda breit grinsend und fuhr sich mit der Hand durch ihre langweiligen straßenköterbraunen Haare.
Fiede rückte näher. »Ich muss dir unbedingt etwas erzählen!« Ehe Nadeshda sich dagegen wehren konnte, berichtete er ihr mit
gedämpfter Stimme, dass er am Abend zuvor den Mülleimer hinuntergebracht hatte. »Und was meinst du, wer mir da im Treppenhaus
begegnet ist?!«, raunte er. »Dieser Radomski!«
»Woher willst du denn wissen, dass es der langeRadomski gewesen ist?«, wandte Nadeshda zweifelnd ein. Wenn der Junge nicht sehen konnte, hätte es schließlich auch ganz jemand
anderes sein können.
»Ich bin zwar blind, aber blöd bin ich nicht«, entgegnete Fiede. Er klang ein bisschen beleidigt. »Ich kann nämlich zum Beispiel
hervorragend riechen. Ich glaube, dieser Radomski putzt sich nie die Zähne. Deshalb kaut er immer Kaugummi. Und als ich ihm
im Treppenhaus begegnet bin, hat er mir seinen einzigartigen Zimtkaugummi-Zahnmoder-Geruch ins Gesicht geblasen.«
»Aha«, sagte Nadeshda betont gleichgültig, überlegte aber doch schnell, ob sie sich heute Morgen ordentlich die Zähne geputzt
hatte.
»Und außerdem«, fuhr Fiede leise fort, »außerdem hat er einen Tick. Er scheint nervös zu sein, andauernd schnipst er mit dem
Finger.«
»Das hast du dir doch jetzt nur wieder ausgedacht, oder?« Es war Nadeshda bisher nicht aufgefallen, dass Radomski mit dem
Finger schnipste. Aber sie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als das Fiede gegenüber zuzugeben.
»Und? War das alles, was du mir erzählen wolltest? Dass er mit dem Finger schnipst?«, fragte sie betont gleichgültig. Erwartungsvoll
schaute sie hinüber auf die andere Straßenseite. Dort öffnete sich endlich die Tür des Restaurants von Gogos und Poli-Kalas
Eltern.
»Nein, natürlich war das nicht alles!«, sagte Fiede und fuhr fort: »Ich habe ...«
Nadeshda hörte nicht mehr zu. Denn Gogo und seine kleine Schwester kamen über die Straße gezockelt.
»Hey Gogo, hey Poli!«, rief sie erleichtert.
»Hallo Gogo, hey Poli!«, rief nun auch Fiede, als würde er Gogo und Poli-Kala ebenfalls seit mindestens fünf Jahren kennen.
Als die beiden bei ihnen angelangt waren, zog Fiede eine Tüte aus der Tasche und hielt sie ihnen hin. »Wollt ihr Schokobonbons?
Ihr könnt so viel nehmen, wie ihr wollt. Ich habe noch mehr davon.«
Das ließen sich Gogo und Poli-Kala nicht zweimal sagen. Sie hockten sich zu Fiede und Nadeshda auf die Treppe und griffen
zu.
Aber Nadeshda wollte jetzt nicht länger hier auf der Treppe herumsitzen. Sie drängte: »Kommt, lasst uns gehen!«
»Wir haben den ganzen Tag Zeit. Es sind doch Ferien«, sagte Gogo und nahm sich ein weiteres Bonbon aus Fiedes Tüte.
Poli-Kala, die sich mindestens drei Bonbons auf einmal in den Mund gesteckt hatte, starrte Fiede mit großen Augen an. Mit
vollem Mund fragte sie ihn: »Wie ist das eigentlich, wenn man blind ist?«
»Oh, ziemlich praktisch«, antwortete Fiede und grinste. »Man kann überallhin umsonst verreisen.«
Poli-Kala staunte. »Überallhin? Ohne zu bezahlen?«
»Ja«, bestätigte Fiede, »sogar auf großen Kreuzfahrtschiffen.«
Endlich schaute auch Nadeshda Fiede fasziniert an. »Wirklich?«
»Du könntest also jetzt zum Beispiel von hier aus mit dem Schiff bis nach Naxos fahren und
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