Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
Klamotten leistete.
Über Kleidungsstücke wurde bei uns zu Hause nicht gesprochen: Mein Vater ging einkaufen und brachte im Winter die nötigen Strumpfhosen für mich mit, die abscheulich auf der Haut kratzten und für erneute Übergriffe auf mich sorgten, weil ich immer wieder einen Versuch unternahm, diese grässlichen Dinger nicht anziehen zu müssen. Meine Oma fasste sich dann ein Herz und kaufte im Geschäft Hilde Schönbom die weichen Strumpfhosen von Ergee, und überdies gabʼs dann eine kleine gelbe Gummi-Ente als Geschenk dazu. Meine Mutter rächte sich für diese liebevollen Gesten damit, dass sie stets die Aldi-Strumpfhosen gewaschen und dabei immer die Ergee-Strumpfhosen »vergessen« hatte. Während es bei Jürgen und Margot an modernen Elektrogeräten nicht mangelte, gab es bei uns zu Hause noch nicht einmal eine Waschmaschine. Meine Mutter musste die Wäsche in einem großen Plastikeimer waschen, und der einzige Luxus, den mein Vater ihr gönnte, war eine kleine elektrische Wäscheschleuder, die ständig kaputtging und mit allen Kräften festgehalten werden musste, weil sie quer durch den Keller tanzte, wenn sie denn dann mal funktionierte.
Aus irgendwelchen unergründlichen Quellen bezog mein Vater gebrauchte Kleidung für meine Mutter und mich, und ich erinnere mich an zahlreiche Streitigkeiten, die die beiden ums Geld führten. Mein Vater verspielte offensichtlich große Summen an Bargeld, und meine Mutter warf ihm vor, nichts aus seinem Leben zu machen. Sicherlich hatte sie nicht ganz Unrecht mit ihrer Meinung, aber dieser Lebenswandel war schon vor der Eheschließung abzusehen. Während arabische Freunde meines Vaters erfolgreich studierten oder zumindest eine Lehre absolvierten und beruflich Fuß fassten, verdiente er sich seinen Lebensunterhalt mit dubiosen Geschäften. Seiner arabischen Natur nach wäre er vermutlich ein exzellenter Autohändler geworden, denn zwei bis drei Male im Jahr stopfte er den Peugeot 404 bis oben hin voll, fuhr binnen drei Tagen nach Syrien und verkaufte dort restlos alles. Dann setzte er sich in den nächsten Flieger, kaufte in Frankfurt am Main einen anderen Peugeot 404 und fuhr zurück in unsere Stadt. Das Beste, was diesem Mann passieren konnte, war eine junge Lehrerin, eine Beamtin auf Lebenszeit, die ihn unbedingt heiraten wollte und mit der er seine Rente abgesichert sah.
Bei solch einem Leben war es sicherlich vorprogrammiert, dass meine Mutter ihren Neid auf Margot immer weniger verheimlichen konnte. Und vielleicht hat auch Margot gespürt, wie ihr eigener Ehemann von dieser kurz gehaltenen und unterdrückten Frau angehimmelt wurde. Vielleicht hat sie auch gespürt, dass Jürgen für diese »arme Gundis« der Held und Retter war und Gundis ihrem Mann ein Gefühl vermitteln konnte, das er bei seiner Frau Margot sicherlich nach über zehn Ehejahren nicht mehr fand: das Gefühl, in völliger Kritiklosigkeit auf das Podest der Göttlichkeit gehoben zu werden.
Margot war nach außen hin eine unabhängige und kritische Frau, die sich nicht scheute, klar und offen ihre Meinung zu sagen. Sie kümmerte sich keinen Deut darum, was die Klatschtanten der Stadt alles über sie erzählten, und begegnete diesem Tratsch mit immer selbstbewussteren modischen Outfits. Sie gehörte zu den ersten Frauen, die sich auf der Düsseldorfer Königsallee bei einem Schönheitschirurgen die Reiterhosen entfernen ließen, und propagierte offen den Erfolg dieser Eingriffe. Meine Mutter lästerte mit einer anderen Bekannten darüber, dass Margot »nach dem Essen immer kotzen würde, um nicht zuzunehmen«.
Ich habe mich in den letzten Jahren oft gefragt, ob Margot tatsächlich bulimisch war. Ich könnte es sehr gut verstehen, denn ich möchte nicht wissen, wie viel Einblick sie in die Gedankenwelt ihres Jürgens hatte, die sie im wahrsten Sinne des Wortes »ankotzte«. Als sie sich später trennten, bezahlte ihr Jürgen lebenslang eine unvorstellbar hohe Summe an monatlichem Unterhalt, und heute erscheint mir dieses Geld als »Schweigegeld«.
Jürgen hatte eine Schwester, die mit einem Kripobeamten in Wiesbaden verheiratet war. Aus dieser Ehe entstand eine Tochter, und Jürgen wurde »Simonchens« Patenonkel. Wann immer Jürgen Zeit und Gelegenheit hatte, fuhr er mit seinem Jaguar und unzähligen Päckchen nach Wiesbaden und überhäufte Simone mit diesen Geschenken. Wenn Jürgen von seiner Nichte sprach, verklärte sich sein Blick, und er schwärmte auffällig von seinem
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