Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
es sicher aufgehoben!« Sie erklärte, dass ich nicht der erste Fall wäre, bei dem unter mysteriösen Umständen solche Beweismittel verschwinden würden.
»Und ich dachte, das gibtʼs nur im Fernsehen?« Ich staunte nicht schlecht.
»Ein plötzlicher Einbruch, und schon ist alles weg. So einfach ist das. Aber das soll nicht passieren.« Sie zwinkerte mir zu. »Hauptsache, die Verfahren werden nicht getrennt. Die Tat an ihrem dreißigsten Geburtstag wäre ohne die ersten Taten aus Ihrer Kindheit und Jugend so nicht möglich gewesen. Ich hoffe, dass unsere Staatsanwaltschaft das begreift. Wenn die das Verfahren auseinanderreißen, wegen der zwei Tatortzuständigkeiten, sehe ich schwarz. Dann käme erst die Erzwingungsklage auf Zusammenlegung beider Verfahren. Vor der Generalstaatsanwaltschaft. Gewinnen wir das, wären wir schneller vorm OLG. Was wiederum gar nicht so schlecht wäre. Mal schauen.«
Verständnislos schaute ich meine Rechtsanwältin an. Ich war selten begriffsstutzig, aber jetzt verließ mich meine Auffassungsgabe.
»Ich erklärʼs Ihnen nächstes Mal. Die Unterlagen sind hier, das war jetzt das Wichtigste, und Sie fahren jetzt zur Therapie. Kopf hoch! Sie schaffen das schon! Ich zähle auf Sie. Sie MÜSSEN das schaffen!« Ein herzlicher Händedruck, dann war ich auch schon wieder weg.
Die psychosomatische Klinik erwartete mich. Ich bezog ein wunderschönes Apartment mit eigenem Bad und fühlte mich wie in einem Hotel der guten Mittelklasse. Hier konnte man es aushalten. Sehr gut sogar. Ich würde sieben Wochen bleiben. Als ich ankam, hatte ich mit drei Wochen gerechnet. Die Therapien waren unterschiedlich. Gestaltungstherapie. Einzelgespräche. Qigong. Atemgymnastik. Gruppengespräche. Sogar Sport. Und das nicht zu knapp. Ich war in der Triathlongruppe eingeteilt. Laufen, Schwimmen, Kraftsport, Sauna. Ich wog gerade mal fünfundvierzig Kilo, fühlte mich kraftlos und hatte seit Monaten keinen Sport mehr gemacht. Es wurde höchste Zeit mit mir! Es gab viele prägende Momente. Sie alle aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Aber es gab zwei Sitzungen, die mir mehr Kraft abverlangten, als ich zunächst zu leisten imstande war. Daher war es lebensrettend und wichtig, dass einem hier auch etwas anderes gegeben wurde: Zeit!
Es passierte gleich in meiner ersten Stunde Gestaltungstherapie. Zuvor hatte ich noch mit einem Kollegen von der Justiz über »unseren kleinen Malkurs« gewitzelt. »Wenn ich da töpfern soll oder Bildchen malen, dann gehe ich da nicht hin«, hatte ich großspurig getönt. Wir sollten uns gegenseitig vorstellen. Tenor der Vorstellungsrunde war, ohne Buchstaben und ohne Zahlen MALEND dem Gegenüber den eigenen Grund für diesen Klinikaufenthalt mitzuteilen. Nacheinander. »Also doch malen«, hatte ich innerlich gestöhnt. Einem solchen Kinderkram konnte ich nun wirklich nichts abgewinnen. Ich muss arrogant gewirkt haben. Ich wurde einer Frau zugeteilt, die etwas älter war als ich, rundlich und mit einer lebhaften Mimik. Sie hatte große braune Augen, mit denen sie reden konnte. Diesbezüglich waren wir uns sehr ähnlich. Kein Wort durfte gesprochen werden. Wir sollten uns immer abwechseln mit dem Malen, uns ein Blatt Papier und einen Stift teilen. Nach Möglichkeit sollte es dann ein Bild von der persönlichen Situation ergeben. Ich malte ein Strichmännchen. Gab den Stift ab. Sie malte ein größeres Strichmännchen. Gab mir den Stift wieder. Und so weiter. Auf dem Bild waren nun zwei große Strichmännchen, ein kleines und ein klitzekleines. Es wurde schwierig für mich. Ich malte ein gebrochenes Herz. Und erhielt ein Fragezeichen. Ich malte Tränen. Und erhielt wieder ein Fragezeichen. Mit großen fragenden Augen schaute mich die Mitpatientin an. Warum ein gebrochenes Herz? Warum Tränen? Da war offensichtlich eine Familie mit zwei Kindern. Ein älteres Kind und ein ganz kleines. Und nun dieses gebrochene Herz? Und warum diese Tränen? Warum? Meine Mitpatientin verstand mich nicht. Ich war entnervt. Ich kann es nicht leiden, wenn man mich nicht versteht. Ich wollte nicht mehr. Ich wollte reden, nicht malen. Rabiat nahm ich ihr den Stift aus der Hand, strich das große Männchen und das klitzekleine Männchen durch, malte ein fettes Kreuzzeichen über das durchgestrichene große Männchen und ein fettes Kreuzzeichen über das durchgestrichene klitzekleine Männchen. Basta. Ich war fertig. Schmiss den Stift auf den Tisch. Lehnte mich zurück und verschränkte
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