Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
ihrem Leben und ihren zwei Söhnen völlig überfordert zu sein. Der Haushalt war entsetzlich chaotisch, und nichts schien organisiert zu sein. Eine Aufgabenverteilung gab es nicht, und niemand fühlte sich für irgendetwas verantwortlich. Es gab kein Toilettenpapier, das Waschpulver ging zur Neige, und Milch war dann eben auch nicht mehr im Kühlschrank. Mir erschien das alles völlig planlos und wirr. Gemeinsame Mahlzeiten fanden nicht statt, und Regelmäßigkeiten gab es nicht. Arndt, der jüngere Sohn, war in meinem Alter. Werner, sein älterer Bruder, war sechzehn Jahre alt, fuhr ein schneidiges Kleinkraftrad von Kreidler und war die meiste Zeit mit Musikhören und seinem Aussehen beschäftigt. Er war ein Fan von Pink Floyd und Queen und verehrte Freddy Mercury. Stundenlang saß er mit mir vor seiner aufwendigen Stereoanlage und spielte mir Stücke aus seiner gigantischen LP-Sammlung vor. Seine Musiksammlung, seine Anlage und sein Moped waren sein ganzer Stolz. In Arndts Zimmer konnte man keinen Fuß auf den Boden setzen, und ständig roch es in seinem Zimmer nach Hamsterpisse und Schmutzwäsche. Ich habe den Hamsterkäfig dann sauber gemacht und festgestellt, dass sich das Tier überhaupt nicht anfassen ließ. Offensichtlich hatte Arndt keine Lust, sich mit dem Hamster zu beschäftigen, und er schien ihm egal zu sein.
Nach zwei Tagen, die ich Uta entweder telefonierend oder hysterisch herumschreiend erlebt hatte, bekam sie von jetzt auf gleich einen Tobsuchtsanfall. Das Chaos in ihrer Wohnung nervte sie plötzlich, und schuld waren natürlich ihre faulen Nichtsnutze von Söhnen. Arndt und Werner schienen diese Anfälle ihrer Mutter bereits zu kennen, denn sie suchten sofort Deckung in ihren Zimmern. Uta war eine sehr große und sehr kräftige Frau vom Typ Walküre. Als sie feststellte, dass Arndts Tür verschlossen war, trat sie diese kurzerhand ein, und das Holz splitterte an allen Ecken und Enden. Arndt warf schützend seine Hände vors Gesicht, und Uta prügelte wie von Sinnen auf ihren jüngsten Sohn ein. Sie beschimpfte ihn dabei aufs Übelste, und zu guter Letzt nahm sie seine Gitarre von der Wand und schmetterte diese mit aller Gewalt auf die Schreibtischkante. Arndt heulte Rotz und Wasser, und ich stand mit weit aufgerissenen Augen im Flur. Ich kannte Uta von meiner Grundschulzeit und wäre nie im Leben darauf gekommen, dass diese Lehrerin, diese Frau Prinz, derartig ausrasten konnte.
Werner saß auf seinem Bett und wartete in seinem Zimmer darauf, dass er an die Reihe kam. Werner war groß und kräftig und stellte sich seiner Mutter in den Weg. Er schrie Uta an, dass sie sich um nichts kümmern würde und es noch nicht einmal fertigbrächte, die Wäsche zu waschen oder zu kochen. Ich fand, dass Werner Recht hatte, und bewunderte seinen Mut. Uta stürzte sich auf ihren Ältesten und schlug mit einem Kleiderbügel auf ihren Sohn ein. Er sei genauso mies wie sein »Erzeuger«, aber er würde sie nicht fertigmachen, so wie sein Vater das getan habe! Der Kleiderbügel zerbrach, und Uta schnappte sich einen Gürtel. Sie prügelte mit der Schnallenseite immer weiter auf Werner ein, bis dieser in sich zusammensackte und nur noch wimmerte. Körperlich war ihr Werner eigentlich locker überlegen, aber eine noch intakte Hemmschwelle in dem Jungen ließ eine Gegenwehr nicht zu. Als Uta ihr Werk vollendet hatte, setzte sie dem Ganzen die Krönung auf: Sie marschierte schnurstracks ins Wohnzimmer und riss, ungeachtet der Kabel, die Stereoanlage auseinander und warf die liebevoll sortierten LPs quer durch den Flur. Dann knallte sie mit einem lauten Krachen die Tür zu und verbarrikadierte sich für den Rest des Tages. Der Orkan war vorbei.
Werner sah übel aus. Sein rechtes Auge war zugeschwollen. Die Gürtelschnalle hatte ihn frontal getroffen. Überall an den Armen hatte er Rötungen und Striemen, und er sah mächtig verheult aus. Arndt schluchzte und hielt seine kaputte Gitarre im Arm. Er streichelte sie und murmelte immer wieder: »Warum macht sie das?«
Ich half den Jungs, so gut ich konnte, beim Aufräumen. Dabei erzählten sie mir, dass Uta in regelmäßigen Abständen ausrasten würde und insbesondere ihr Hass auf Werner grenzenlos sei. Tagelang würde sich ihre Mutter nicht um ihre Söhne kümmern, und aus heiterem Himmel kämen dann diese Wutausbrüche. Zwischen uns dreien herrschte tiefe Betroffenheit. Werner murmelte, dass er so schnell wie möglich abhauen würde und diese Frau ihn mal kreuzweise
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