Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
drückten, »du wirst deinen Weg gehen, davon bin ich fest überzeugt. Geh in die Welt, und werde glücklich. Und schreib mir ausführlich, ja?«
»Ja, Omi!« Ich drückte sie noch einmal, nahm meinen Seesack und verließ das Haus.
Ich ging die Straßen entlang, warf noch einen letzten Blick auf meine alte Schule und erreichte gerade rechtzeitig meinen Zug nach Frankfurt. Als ich fünf Stunden später im Flugzeug von Air France saß und die Maschine nach Dakar abhob, fühlte ich mich in meinem Sitz, als säße ich in einem Kinosessel und würde mein eigenes Leben wie in einem Film erleben. Es kam mir alles irgendwie unwirklich vor, und ich konnte es nicht fassen, dass ich dieser Stadt und dieser Vergangenheit endlich entkam. Meine Flucht hatte begonnen.
In Dakar angekommen, stellte ich fest, dass ich mit einem Problem nicht gerechnet hatte: das Problem, mit einer unbekannten Sprache konfrontiert zu werden. Ich hatte ein Jahr Französischunterricht gehabt, mich dann aber entschlossen, das Große Latinum zu machen, und Französisch abgewählt. Um mich herum waren lauter schwarze Menschen in bunten Tüchern, und ich verstand kein einziges Wort. Als ich meinen Seesack auf dem Gepäckband entdeckt hatte, ergriff ein Senegalese diesen Rucksack. »Ey, das ist meiner!«, brüllte ich los und warf mich förmlich auf mein einziges Hab und Gut, das ich hatte. Der Senegalese zog am einen Ende und ich am anderen. Irgendwann lachte er, schüttelte den Kopf und ließ los. Erleichtert packte ich mir meinen Seesack auf die Schultern und marschierte in Richtung Ausgang. Hinter der Passkontrolle stand eine Gruppe von Europäern und unterhielt sich in deutscher Sprache. Es stellte sich heraus, dass alle zu der Baustelle in Mali gehörten, und mit einem Bus wurden wir zum guesthouse gebracht. Das Gepäck brachte uns der Senegalese, mit dem ich am Gepäckband meinen Zweikampf ausgefochten hatte. Er war ein Gepäckträger.
Mein erster Abend in Freiheit begann. Lachend saß ich mit diesen Leuten am Tisch, trank Rotwein und erzählte, dass ich Timo damit überraschen wollte, nun für immer bei ihm in Afrika bleiben zu können. »Ob er sich darüber wohl freut?«, witzelte einer der Anwesenden, und ich überhörte es bewusst. Am nächsten Tag flogen wir mit einer zweimotorigen Maschine in den Busch. Das Flugzeug sah alles andere als sicher aus, und mir war mulmig zumute. Später sollte ich dann aus erster Hand erfahren, dass es sich bei diesem Flugzeug um eine spanische Produktion handelte, der Marke CASA. Diese Marke galt damals als einer der sichersten Typen im Flugverkehr. Unter uns war nur noch rote Erde zu sehen, der so genannte Lateritboden, der typisch für Westafrika ist. Eine karge Landschaft zeichnete sich bereits aus der Luft ab, denn nur selten sah man Bäume oder Sträucher. Bergmassive gab es dafür umso öfter.
Der kleine Flughafen von Manantali, dem Dorf in Westafrika, wo sich die Baustelle befand, war voll von Menschen, die am Rande der sandigen Landebahn standen und auf uns Ankömmlinge warteten. Als wir ausstiegen, entdeckte ich Timo. Strahlend kam er auf mich zu, aber er strahlte nicht mehr ganz so sehr, als ich ihm aufgeregt erzählte, dass ich gekündigt hatte und nun auf der Baustelle bleiben würde. Bald stellte ich fest, dass Timo keineswegs in mich verliebt war und der Grad seiner Großzügigkeit in Deutschland nichts mit dem Grad einer gefühlsmäßigen Innigkeit zu tun hatte. In letzter Konsequenz war mir das damals gleichgültig. Ich war in Mali, und nur das zählte wirklich. Nach einigen Wochen kannte ich Gott und die Welt auf dieser Großbaustelle, und ich war fasziniert von dem, was hier gebaut wurde. Ein gigantischer Staudamm, finanziert von den Kuweitern und der Weltbank, unter der Schirmherrschaft von Züblin, Dyckerhoff & Widmann und den französischen Unternehmen Saggeccom und Solétanche, entstand hier mitten in der Einöde und inmitten der ursprünglich lebenden Bevölkerung. Über der Baustelle schwebte der größte Kabelkran der Welt, und über dreihundertfünfzig Europäer bevölkerten das Camp der Expatrié . Die Locals bewohnten ein eigenes Camp nebenan. Das gesamte Baukonsortium nannte sich ECBM als Abkürzung für Entreprise de Construction du Barrage de Manantali . Durch den Staudamm würde der Fluss Bafing eines Tages zu einem gigantischen See in der Größe des Bodensees aufgestaut werden. Ein anschließend zu bauendes Kraftwerk sollte dann den Strom erzeugen, den das ärmere Land Mali dem
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